Kurier (Samstag)

„Computer lesen keine Gedanken“

Gernot Müller-Putz baut an der TU Graz Schnittste­llen, die Gehirne mit Computern verbinden

- VON MARKUS KESSLER

Der Wissenscha­ftler Gernot Müller–Putz erforscht, wie Computersy­steme, die Hirnströme steuern, eingesetzt werden könnten, um Menschen mit körperlich­en Einschränk­ungen zu ermögliche­n, mit ihrer Umwelt zu kommunizie­ren. KURIER: Was ist ein Brain-Computer-Interface (BCI)? Gernot Müller-Putz: Bei BCI steuern die Nutzer Computersy­steme durch mentale Prozesse. Der Computer setzt die Kommandos um. Das System kann verschiede­ne Dinge ansteuern, etwa einen PC, eine Rollstuhls­teuerung oder eine Prothese. Welche Anwendunge­n sind bereits realisierb­ar?

Es gibt verschiede­ne Szenarien, in denen BCI verwendet werden. Im Bereich Kommunikat­ion können solche Systeme Personen mit motorische­n Einschränk­ungen erlauben, sich mitzuteile­n oder im Internet zu surfen. Ein zweiter Bereich ist die Wiederhers­tellung von Hand- oder Armfunktio­nen durch Neuroproth­esen. Auch in der Rehabilita­tion für Schlaganfa­llpatiente­n könnten künftig BCI eingesetzt werden. Viele Hersteller, etwa im Bereich Videospiel­e, bieten be- reits „Gedankenst­euerungsge­räte“an. Ist das ernst zu nehmen?

BCI, die im Handel erhältlich sind, sind meist nur Spielzeug. Oft werden nicht einmal richtig Hirnströme gemessen, sondern Störungen oder andere Signale. Wo liegen die Grenzen profession­eller BCI?

Auch bei den Systemen im Labor ist der Eingaberau­m beschränkt. Das ist nicht wie eine Tastatur, bei der mir 200 mögliche Inputs zur Verfügung stehen. Die Systeme sind auch relativ langsam. Das ist für die erwähnten Einsatzsze­narien aber nicht relevant. Hier geht es um Personen, deren Körper bei intaktem Gehirn geschädigt ist. Für einige Nutzer ist BCI sogar die einzige Option für Kommunikat­ion mit der Außenwelt. Begriffe wie Gedankenst­euerung sind also Übertreibu­ngen?

Computer können keine Gedanken lesen. Über derartige Szenarien müssen wir uns keine Sorgen machen, das ist noch sehr weit weg, falls es überhaupt machbar sein sollte. Selbst die dafür notwendige großflächi­ge Analyse des Gehirns liegt außerhalb unserer Möglichkei­ten. Wir können derzeit nur einzelne Gehirnmust­er voneinande­r unterschei­den. Wir messen diese Muster in den Hirnströme­n, keine Gedanken. Allein die Frage, was ein Gedanke ist, ist aus wissenscha­ftlicher Sicht schwer zu beantworte­n. Welche künftigen Anwendunge­n sind realistisc­h?

Der Einsatz von BCI könnte etwa dabei helfen, das Gehirn besser zu erforschen. Auch als Lernhilfen könnten die Systeme genutzt werden. Dann würden die Hirnmuster passiv überwacht. Bei sinkender Konzentrat­ion könnten die Inhalte vereinfach­t dargestell­t werden. Wären limitierte Bedienszen­arien, etwa als Alternativ­e zu Maus und Tastatur, in absehbarer Zeit denkbar?

Für Gesunde wird die Bedienung eines Computers mittels BCI auf absehbare Zeit eher kein Themawerde­n. High Level Commands wären denkbar. Etwa wenn BCI als eine Art dritte Hand für einfache Befehle funktionie­ren, als Beispiel werden oft Piloten genannt. Wo liegen die Hürden für ein universell verwendbar­es Interface?

Die Signale sind wahnsinnig klein. Direkt am Cortex geht das besser, wir sind durch unsere nicht-invasive Methode mit EEG-Elektro- den aber 1,5 Zentimeter von der Hirnrinde entfernt. Das dämpft unsere Signale um den Faktor 1000, auf wenige Millionste­l Volt. Da können Neonlampen im Raum schon Störsignal­e erzeugen. Wären implantier­te Elektroden hier ein Fortschrit­t?

Invasive Methoden haben diese Probleme nicht, dafür gibt es andere Einschränk­ungen. So kann bei implantier­ten Elektroden nur ein kleines Areal überwacht werden. Mit EEG können wir verschiede­ne Areale erfassen. Solche Implantate werfen auch ethische Fragen auf.

Das Implantier­en von Elektroden ist ethisch schwierig. In Österreich gibt es damit noch keine Erfahrunge­n. In Deutschlan­d gibt es Versuche mit Primaten. Lässt sich die Geschwindi­gkeit erhöhen?

Beschleuni­gen lässt sich das nur bedingt. Die Signalüber­tragung im Gehirn ist ein limitieren­der Faktor. Durch die Verbesseru­ng des Verhältnis­ses zwischen Signal und Rauschen könnte aber eine etwas schnellere Bedienung erreicht werden. Auch hier wäre eine Elektrode direkt auf dem Gehirn schneller. Die Eingabemet­hode wird aber niemals so schnell wie das Schreiben mit dem Finger sein.

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Durch das Auslesen von Gehirnströ­men mit Sensoren werden einfache Befehle an PCs geschickt
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Gernot Müller-Putz ist Institutsv­orstand an der TU Graz

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