Kurier (Samstag)

Hier spricht das Luberl, Praterstra­ße 64

Starkes Debüt mit den Geräuschen der Welt und einem Wiener Wachszylin­der in Mexiko

- – P.PISA

Es wird etwas dauern, bis man die Stimme der 42-jährigen Rosemarie Poiarkov aus Baden bei Wien hören kann.

Sie geht ihren ersten Roman mit Ruhe an.

Es wird etwas dauern, bis die einzelnen Fäden, die bis nach Serbien, Mexiko, Bilbao reichen, ja sogar bis in die Wiener Praterstra­ße ... bis man alle miteinande­r verknoten, dann kommt man dem Buch auf die Spur. (Mit manchen Fäden hätte man gern häufiger gespielt, mit anderen weniger .)

Die Geräusche der Welt: Welche hört man? Welche will man hören?

Luise hört Menschen. Sie ist Deutschleh­rerin für Aus- länder. Luise hört den Menschen gern zu.

Ihr Freund Emil riecht nach Schweiß und, zur Sache!, lauscht lieber der Alten Donau. Er ist ein Leiser, ein zu Leiser.

Flohmarkt

Töne nimmt er mit dem Recorder auf und archiviert sie. Den Wind. Vogelpieps­en. Herzschlag. Im Winter legt er sich aufs Eis. Er will das Eis hören. Es singt. (Auf Youtube kann man sich davon überzeugen.)

Seiner Luise hört er weniger zu. Vielleicht, weil sie so lebendig laut ist und noch nicht reif für sein Archiv.

Luise war während ihrer Dienstreis­e in Mexiko auf einem Flohmarkt. In Guanajuato erstand sie einen Wachszylin­der, auf dem Papierbehä­lter stand in schöner Kurrentsch­rift:

„Es spricht das Luberl, Praterstra­ße 64 Wien, 3. April 1903“

Zurück in Wien, hört man sich die schwer verständli­che Aufnahme auf einem EdisonPhon­ographen an, „blutig“, „Flasche“, „Schnee“ist zu verstehen ... Wer schrie damals in den Trichter, bevor er/sie nach Mexiko verschwand? Luises alter Vater kommt der Antwort nahe. Er hat Ohren für die Vergangenh­eit.

Töne sind wie die Zeit: immer gerade gegangen, immer gerade im Kommen.

So heißt es an einer der schönen Stellen im Roman.

Auch die Titel der einzelnen Kapitel machen Lust aufs Denken: a.) „Die Welt ist blau wie eine Orange.“b.) „Wer die Ferne nicht schätzt, ist in der Nähe auch nicht zu gebrauchen.“

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Wer hört was? Rosemarie Poiarkov, 42, studierte Germanisti­k, Philosophi­e und Politikwis­senschaft
 ??  ?? Rosemarie Poiarkov: „Aussichten sind überschätz­t“Residenz Verlag. 256 Seiten. 22 Euro.
Rosemarie Poiarkov: „Aussichten sind überschätz­t“Residenz Verlag. 256 Seiten. 22 Euro.

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