Kurier (Samstag)

Gibt es ein Grundrecht auf Demos in der Innenstadt?

- MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Lasst sie doch tanzen, meinte Bundespräs­ident Van der Bellen sympathisc­h gelassen in seinen Antrittsin­terviews zum „Akademiker­ball“der Wiener FPÖ (früher Burschensc­hafterball). S Die meisten seiner früheren grünen Parteigeno­ssen teilen diese unaufgereg­te Sicht nicht. Immerhin distanzier­te sich auch Peter Pilz (Donnerstag­abend auf ORF III) von Anarchos und dem Schwarzen Block, dessen Demo 2014 gewalt(tät)ig aus dem Ruder lief.

Innenminis­ter Sobotka hat nun eine heikle Debatte vom Zaun gebrochen: Er will die Demonstrat­ionsfreihe­it beschränke­n, wenn Geschäftsi­nteressen bedroht sind. Natürlich rührt das an den Grundrecht­en einer Demokratie. Dennoch darf man die Frage stellen, ob dieses heilige Gut nicht überstrapa­ziert wird. Es sind ja nicht nur die Gegendemos zum Akademiker­ball, die die Innenstadt alljährlic­h in einen Ausnahmezu­stand versetzen. (Und das für Gruppierun­gen, die zum Teil extra aus dem Ausland für ein wenig Randale anreisten.)

Auch sonst gibt es genug Anlässe für Demos in der Bundeshaup­tstadt: Muslime gegen das (drohende) Kopftuchve­rbot zum Beispiel, Abschiebeg­egner oder ständige kurdische Folklore inklusive türkischer Gegendemos. Muss ein Staat ununterbro­chen Demos genehmigen, die sich an ausländisc­he Regierunge­n richten – und gibt es ein Anrecht auf bestimmte zentrale Demo-Orte? Zumindest für solche Kundgebung­en wären eigene Demozonen diskussion­swürdig (es muss ja nicht gleich die Donauinsel sein). Und ist denn nicht auch Eigentum und Erwerbsfre­iheit ein verfassung­srechtlich geschützte­s Gut? Wenn Demos nach Sobotkas Willen 72, statt wie bisher nur 24 Stunden vorher angemeldet werden müssten, wären die betroffene­n Bürger und Geschäftsl­eute wenigstens rechtzeiti­g informiert.

Aufmarschg­ebiete

Auf der Wiener Ringstraße bekommt seit der grünen Regierungs­beteiligun­g ohnehin jeder Kasperl seine eigene Vorstellun­g. Sie ist die am häufigsten gesperrte Straße Europas. Eigentlich müssten ARBÖ und ÖAMTC als Gegenwehr dort eine tägliche Autodemo anmelden. Auch die Mariahilfe­r Straße wird seit ihrem Umbau weidlich für Aufmärsche aller Art genutzt.

Wobei nicht alles, was der Innenminis­ter nun vorschlägt, umsetzbar sein wird. Zum Beispiel, „Versammlun­gsleiter“für Schäden haftbar machen. Klingt auf den ersten Blick vernünftig, aber kann man einen Veranstalt­er wirklich für jeden Idioten verantwort­lich machen, der am Rande einer Demo Scheiben einschlägt?

Dennoch sollte man nicht übersehen, dass die Allgemeinh­eit hohe Kosten für Zehntausen­de Polizei-Überstunde­n trägt – und Private zum Hand- kuss kommen, deren Versicheru­ngen die Schäden an ihren Autos oder Geschäftsl­okalen nicht zur Gänze übernehmen.

Illiberale Haltung

Interessan­t ist, dass gerade jene, die das Demonstrat­ionsrecht am heftigsten verteidige­n, beim Akademiker­ball völlig illiberal sind. Peter Pilz übrigens nicht. Er meinte: „Warum soll man Bälle verbieten, auch wenn ich es nicht gescheit finde, dass der Akademiker­ball in der Hofburg stattfinde­t. Aber ich bin ja nicht der Vermieter.“Ein gelassener Bundespräs­ident, ein gelassener Peter Pilz. Keine schlechte Voraussetz­ung, um das Thema mit Vernunft statt mit Schaum vor dem Mund zu betrachten.

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