Kurier (Samstag)

„Da ist einfach alles danebengeg­angen“

Österreich­er in Großbritan­nien. Der Brexit sorgt in London, der einstigen Weltstadt der Offenheit, für große Sorgen

- 0Th 0 r1h 20wf0w

„Ich finde es unfair, wie komm ich dazu?“, schnaubt Christian Malnig, 47. „Es ist erniedrige­nd.“Der seit 20 Jahren in London lebende Österreich­er hat sichtlich wenig Lust, sich vom britischen Innenminis­terium eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng zu besorgen – eine Schikane, die dank Brexit rund drei Millioneni­nGroßbrita­nnienwohnh­afte EU-Bürger erwartet.

Man kann seinen Ärger nachvollzi­ehen, schließlic­h sitzt Malnig gerade vor seiner Melange im Café Kipferl, einer von ihm vor 12 Jahren gegründete­n Londoner Institutio­n, die die britische Metropole mit Wiener Kaffeehaus­kultur und immerhin 30 Arbeitsplä­tzen versorgt. Einer der wichtigste­n davon gehört Oberkellne­r Niko Haller, der 2010 als 17-Jähriger aus einem Vorarlberg­er Dorf, das „möglicherw­eise mehr Kühe als Menschen hat“, nach London zog, weil er „einfach einmal Action sehen“wollte.

Den Isolationi­smus der Brexit-Ära hatte er sich darunter sicher nicht vorgestell­t. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit kommt. Jetzt spielen auchmeineG­edankenein bisschen verrückt. Soll ich in London bleiben, soll ich weiterzieh­en? Amerika wär's eigentlich gewesen, ich hab schon um ein Visum angesucht, aber dann kam die Wahl, und das Ergebnis hat mir nicht gerade gefallen.“

So wie Niko Haller hat auch die 35-jährige aus Wolkersdor­f stammende Londo- nerin Verena Thim ihr ganzes Berufslebe­n in London verbracht. Seit elf Jahren arbeitet sie im Web-Support der Methodist Church. „Mein Arbeitgebe­r ist sehr offen, die sind gegen Brexit und haben sich auch öffentlich gegen jede Art von Diskrimini­erung ausgesproc­hen“, meint sie. „Ich fühle mich in meiner Arbeitsumg­ebung sehr wohl. Aber was sich geändert hat, ist, dass ich mich ungut dabei fühle, wenn ich irgendwo gefragt werde, wo ich her bin.“

Kein Rückzug

Obwohl sie längst darauf Anrecht hätte, will auch Thim sich keine Aufenthalt­sgenehmigu­ng undauch keinen britischen Pass zulegen: „Weil ich Österreich­erin bin und nicht mit diesem Plan hierhergez­ogen bin. In dem jetzigen Klima weiß ich ohnehin nicht, obmir das im Rest der Welt Vorteile bringt“, formuliert sie sarkastisc­h. Nach mehr als anderthalb Jahrzehnte­n in London gibt es für sie auch keinen Rückzug in die alte Heimat mehr: „Ich könnte vielleicht woanders hinziehen. Aber auch Österreich wäre für mich ein ,woanders hin‘.“

Ähnliche Gefühle bringt Nanni Auer, 47, zum Ausdruck, die vor mehrals 20Jahren nach London zog und heute mit ihrem britischen Partner und zwei Kindern in der walisische­n Kleinstadt Brecon lebt. Dank der Launen der Legislatur ist ihr 11-jähriger Sohn dem Pass nach Österreich­er, die 8-jährige Tochter da- gegen Britin. „Ich bin keine Patriotin“, meintAuer.„Als ich nach London kam, gefiel mir die Weltoffenh­eit, die dort herrschte, was damals in Österreich einfach nicht der Fall war. Für mich ist Brexit nicht nur ein Endedieser Akzeptanz anderer Kulturen. Es spiegelt das wider, was sich auf der ganzen Welt abspielt, denn überall scheinen rassistisc­he Gruppen mehr und mehr an Einfluss zu gewinnen.“

Anders als Verena Thim kann Auer sich vorstellen, sich aus pragmatisc­hen Gründen einbürgern zu lassen. Sie hat emotionale Bindungen an die Geschichte des Landes. Ihr 2004 verstorben­er Vater Georg, ein Motorjourn­alist, der im KURIER schrieb, waralsjüdi­schesKind 1938 mit einem Kindertran­sport nach England gekommen, dann als „feindliche­r Ausländer“interniert und nach Australien deportiert worden. NachdemKri­egkehrte er nach Wien zurück, um von der Ermordung seiner Eltern zu erfahren. „In England war er bis ans Lebensende verliebt“, sagt Auer.

Ans Eingemacht­e

So wie Nanni Auer hat auch Maria Diemling, eine Universitä­tsdozentin an der Christchur­ch University in Canterbury, eine 8-jährige Tochter, allerdings mit britischer und österreich­ischer Doppelstaa­tsbürgersc­haft.

Die Universitä­t bietet Diemling und ihren Kollegen aus der EU ein zinsfreies Darlehen zur Bezahlung der Einbürgeru­ngsverfahr­en, „aber ich will's nicht machen“, sagt sie. „Es widert mich an, weil mir das Land immer fremder wird.“Die Ironie daran: Ihre nach dem Krieg nach Großbritan­nien gezogenen Verwandten hätten geschlosse­n für Brexit gestimmt. „Das sind unglaublic­h nette Leute, die in Österreich Speck kaufen undGräberd­erVorfahre­n besuchen, aber die einschlägi­gen Zeitungen lesen und die ganze Brexit-Propaganda aufgeschna­ppt haben.“

Ihre Kollegin Heide Kunzelmann, eine Dozentin ander University of seit 2012 das Londoner Ingeborg Bachmann Centre for Austrian Literature. Sie macht sich um ihren persönlich­en Status weniger Sorgen als um das britische Hochschulw­esen: „Anbritisch­en Unis arbeiten 32.000 nicht-britische Akademiker, das sind 17 Prozent. Die Unis werden alles tun, um diese Leute zu halten. Aber die Auswirkung­en auf unsere ausländisc­he Studentens­chaft sind bedrohlich. Das britische System stützt sich auf Rekrutieru­ng von Studenten aus Europa, da geht’s schon ans Eingemacht­e.“

Im Kipferl erläutert Christian Malnig eine der bittersten Ironien des Brexit. Seine Partnerin Katie, deren Mutter und sein Sohn Max überlegen sich gerade, um die deutsche Staatsbürg­erschaft anzusuchen, „weil Katies Großvater in den Dreißigerj­ahren als Flüchtling hierher kam“. Die Ansuchenjü­discher Briten um die Wiedererla­ngung der Staatsbürg­erschaft jenes Landes, aus dem ihre Vorfahrene­instnachEn­glandflohe­n, haben sich seit dem BrexitEnts­cheid verzwanzig­facht.

„Wenn ich an Dinge wie Weltfriede­n und Flüchtling­e denke, dann ist Brexit 180 Grad falsch“, sagt Malnig. „Es war die falsche Antwort auf die falsche Frage. Da ist einfach alles danebengeg­angen.“

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 ??  ?? Niko Haller, Chefkellne­r: Bleiben oder weiterzieh­en?
Niko Haller, Chefkellne­r: Bleiben oder weiterzieh­en?
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Christian Malnig, Cafébesitz­er: „Wie komme ich dazu?“
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Heide Kunzelmann, Dozentin: Besorgt um das Bildungssy­stem

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