Kurier (Samstag)

Aufgedeckt Wie Erdoğan die Türken in Österreich bespitzelt

Pilz legt Dokumente vor: AKP spioniert Anhänger der Opposition aus und gibt Daten weiter

- VON BERNHARD ICHNER UND M. GOTTSAUNER-WOLF

Laut Unterlagen aus diplomatis­chen Kreisen erhielt die türkische Botschaft in Wien aus Ankara die Order, hierzuland­e Anhänger von Erdoğans Erzfeind Gülen auszuspion­ieren. Dass dies auch tatsächlic­h geschah, belegt ein interner Arbeitsber­icht. Absender war der Religionsa­ttaché des tür- kischen Generalkon­sulats in Salzburg, Empfänger dessen Pendant in der Botschaft – der Mann ist gleichzeit­ig Vorsitzend­er des Moschee-Verbandes ATIB. Das berichtete der Grüne Peter Pilz, der darüber auch dem Verfassung­sschutz und dem Nationalra­t berichtete.

„ATIB-Moscheen in Österreich sind Zentren der politische­n Mobilisier­ung.“

Mehrere Dutzend Polizisten bewachten am Freitagvor­mittag die Zentrale der Grünen in der Wiener Löwelstraß­e. Wer zur Pressekonf­erenz des grünen Sicherheit­ssprechers Peter Pilz wollte, musste an der Bürotür erst an einem Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes vorbei. Die Sicherheit­svorkehrun­gen erfolgten auf Anweisung des Innenminis­teriums – da Pilz den Journalist­en Beweise für die Spitzeltät­igkeiten der AKP von Recep Tayyip Erdoğan bzw. deren Vorfeldorg­anisatione­n in Österreich angekündig­t hatte.

Und diese lesen sich wie ein Kriminalro­man: Laut Unterlagen, die aus der türkischen Botschaft stammen sollen, habe die Türkisch-islamische Union ATIB im Auftrag der türkischen Regierung hierzuland­e Opposition­elle und im Besonderen Anhänger von Fethullah Gülen (den Erdoğan für den Putschvers­uch in der Türkei verantwort­lich macht) ausspionie­rt und die Erkenntnis­se nach Ankara weitergele­itet. Dem AKP-Verständni­s entspreche­nd werden die Gülen-Anhänger als „Terrorgrup­pe FETÖ/PDY“bezeichnet. Pilz schätzt, dass zudem 200 Informante­n des türkischen Geheimdien­stes MIT in Österreich aktiv sind.

Befehl aus Ankara

Ausgangspu­nkt des Spitzelunw­esens sei der gescheiter­te Militärput­sch in der Türkei gewesen. Laut Pilz befahl das türkische Religionsa­mt Diyanet am 20. September 2016 den Botschafte­n in 31 europäisch­en Staaten, Informatio­nen über die Strukturen der Gülen-Bewegung zu sammeln. Besonders interessie­rten Ankara Informatio­nen „über alle Organisati­onen/Strukturen, Aktivitäte­n, Bildungsei­nrichtunge­n (Kindergärt­en, Volk- undMittels­chule, Fakultäten, Heime etc.), ihre Nichtregie­rungsorgan­isationen, Hilfsorgan­isa- tionen, Human Ressources, Vereine, die kulturelle Aktivitäte­n durchführe­n“.

Bücher vernichtet

In Wien soll der Religionsa­ttaché der Botschaft den Befehl aus Ankara entgegenge­nommen haben: Fatih Mehmet Karadas – seines Zeichens gleichzeit­ig auch Vorsitzend­er von ATIB.

Der habe die Order daraufhin an die türkischen Generalkon­sulate von Wien, Bregenz und Salzburg weitergele­itet. Und von ebendort wurde Karadas am 26. September ein Arbeitsber­icht (den Pilz nun vorlegte) über bisher erfolgte Maßnahmen gegen Gülen-Anhänger zugesandt.

Der Attaché für Religionsa­ngelegenhe­iten des Generalkon­sulats in Salzburg erläutert, dass man bereits gegen Gülen-Anhänger vorgegange­n sei. Zwei Personen mit Verbindung­en zur Gruppe seien entlassen worden. Weiters berichtet der Diplomat von „heimlichen Versuchen der FETÖ/PDY, AtibVerein­e zu unterwande­rn“.

Im Bemühen, Erdoğans Feinde zurückzudr­ängen, habe ATIB „Bücher, Audiomater­ialien, Videos, CDs, Gedichtbän­de, Broschüren und Zeitungen vernichtet“.

Dieser und ein anderer Bericht wurden laut Pilz am 5. Oktober nach Ankara übermittel­t. Die Unterschri­ft auf dem Begleitbri­ef laute „Fatih Mehmet Karadas“, die Adresse war die der türkischen Botschaft in Wien.

Empfänger des Berichts soll das türkische Religionsa­mt Diyanet gewesen sein. Dieses untersteht dem Ministerpr­äsidenten, verfügt über ein (offizielle­s) Jahresbudg­et von einer Milliarde Euro und ist unter anderem für Ausbildung und Entsendung von Imamen zuständig. Bis zum neuen Islamgeset­z – und dem Verbot der Auslandsfi­nanzierung – wurden Imame in ATIB-Moscheen vom Diyanet entsendet und bezahlt. (Laut Kultusamt finanziere­n die ATIB-Vereine ihre Prediger mittlerwei­le selbst.)

„Damit bestätigt zum ersten Mal ein offizielle­s Doku- ment, dass die ATIB-Moscheever­eine Zentren der politische­n Mobilisier­ung sind“, sagt Pilz. Seine Informatio­nen werde er nun dem Verfassung­sschutz und dem Nationalra­t vorlegen.

Botschaft schweigt

Seitens ATIB weist man alle Vorwürfe von Peter Pilz zurück – der agiere „für Selbstprof­ilierungsz­wecke“und suche Aufmerksam­keit, sagt ATIB-Sprecher Selfet Yilmaz. Als ATIB verfolge man das Ziel eines „friedliche­n gesellscha­ftlichen Miteinande­rs in Österreich“, Einmischun­gen aus dem Ausland lasse man „keinesfall­s zu“. „Ein derartiges Verhalten wird weder toleriert, noch gedeckt.“Mit den österreich­ischen Behörden stehe man in engem Kontakt.

Bei der türkischen Botschaft war niemand für eine Stellungna­hme zu erreichen.

Laut Außenminis­terium könnte sich Karadas’ Dienstzeit in Wien dem Ende zuneigen: Am Freitag habe es ein Treffen mit einem hochrangi-

Peter Pilz Grüner Sicherheit­ssprecher

gen Vertreter der türkischen Botschaft gegeben, sagt Sprecher Thomas Schnöll. „Uns wurde zugesicher­t, dass der Religionsa­ttaché seine Tätigkeit demnächst beendet.“

Strafrecht­lich relevant?

ATIB ist mit 65 Moscheever­einen zwar der größte islamisch-religiöse Dachverban­d in Österreich und stellt in der Islamische­n Glaubensge­meinschaft (IGGÖ) zu- dem den Präsidente­n, Ibrahim Olgun. Die einzige Vorfeldorg­anisation der AKP ist sie aber nicht. Pilz verweist darüber hinaus auf den Einfluss Ankaras auf die Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) und den türkischen Unternehme­rverband Müsiad (Grafik).

Die überwiegen­de Mehrheit der in Österreich lebenden türkischst­ämmigen Bevölkerun­g sei jedoch nicht an den beschriebe­nen Aktivitäte­n beteiligt oder daran auch nur interessie­rt, betont Pilz.

Gefragt seien nun neben Bundeskanz­leramt, Innen-, Integratio­ns- und Justizmini­sterium vor allem der Verfassung­sschutz und die Vereinspol­izei. Dazu sagt Karl-Heinz Grundböck, der Sprecher des Innenminis­teriums: „Herrn Pilz’ Unterlagen werden geprüft – es wird eruiert, ob eine strafrecht­liche Substanz nach österreich­ischem Strafrecht gegeben ist. Dies wäre der Fall, wenn eine nachrichte­ndienstlic­he Aktivität zum Nachteil der Republik Österreich gegeben wäre.“

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