Kurier (Samstag)

Griss zu Gast am Küchentisc­h

Der KURIER begleitete die Ex-Hofburgkan­didatin zur Premiere ihrer Bürgertour

- VON IDA METZGER

Das Los führt Irmgard Griss in das Weindorf Jois. In einer idyllische­n Wohnstraße in der Nähe des Neusiedler Sees, wo sich Familien ihren Traum vom Eigenheim verwirklic­hen, startet die Ex-Bundespräs­identschaf­tskandidat­in ihre Tischgespr­äche. Das Setting ist eine Art Stammtisch­diskussion neuen Stils, die Griss initiieren will. Beachtlich­e 300 Anmeldunge­n gab es. Eine Männerrund­e (einzige Ausnahme war die Gastgeberi­n), die sich schon seit der HTLSchulze­it in Eisenstadt kennt, wurde als Start-up-Event per Zufall gezogen. Einmal mit der Politik einen „echten Berührungs­punkt zu bekommen“, war für den Gastgeber die Motivation, sich zu melden.

Griss geht es entspannt an, verteilt als Mitbringse­l Zotter-Schokolade mit dem hellblauen Aufdruck Tischgespr­äche, übergibt ein blaues Büchlein, in dem die Diskussion­srunde ihr Feedback festhalten soll. Ihr Motto für den Abend, der drei Stunden dauert, ist denkbar simpel: „Ich bin gekommen, weil ich zuhören will.“Griss, die immer noch nicht entschiede­n hat, wie sie ihr Potenzial von über 18 Prozent an Wählerstim­men nutzen soll, will hören, wo es die Bürger zwickt, was sie frustriert, was sie sich wünschen. Es soll keine Veranstalt­ung sein, wo die Marke Griss verkauft wird.

Abstieg Mittelschi­cht

Schon in der Vorstellun­gsrunde wird es ungewollt politisch. Warum siedelt ein gutverdien­endes Ehepaar von Wien nach Jois? Nicht wegen der Natur. Nicht weil die Familie in einer Weingegend leben will. Es warschlich­tweg ein finanziell­es Kalkül. „In Wien ist ein Einfamilie­nhaus mit Garten nicht leistbar“, erzählt der Gastgeber. Und das obwohl er stolze 450.000 Euro cash als Finanzieru­ng einbringen konnte. „Das reicht in Wien nicht aus.“Und der Gastgeber meint sichtlich enttäuscht weiter: „Meine El- tern konnten mir noch ein Startkapit­al mitgeben. Ich werde das meinen Töchtern nicht bieten können.“Der schleichen­de Abstieg der Mittelschi­cht wird in Jois sichtbar.

Der Frust über den Reformstau ist in der bunten Runde, die sich aus Selbststän­digen und IT-Angestellt­en zusammense­tzt, unüberhörb­ar. Der reflexarti­ge Aufschrei der Gewerkscha­ft bei der Bildungsre­form bringt die Familienvä­ter zur Weißglut. Dabei ist das sinkende Niveau in den Schulen schon bei einem simplen Tag der offenen Tür spürbar, klagt die Männerrund­e.

„Frau Griss, glauben Sie noch, dass wir eine Reform schaffen?“In Österreich passieren Reformen nur nach demFlorian­iprinzip mokieren sich die Diskutante­n. „Reformen ja, aber bitte nicht bei mir.“Auch Griss meint, dass den heimischen Politikern „das Hemd näher ist als der Rock. Es braucht mehr Transparen­z bei den Entschei- dungsproze­ssen“, schlägt die Top-Juristin als Lösung vor.

An demokratis­che Kontrollme­chanismen wie einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss glaubt das politisch interessie­rte Sextett gar nicht mehr. „Da kommt eh nix raus“, sagt Andreas N. „Wenn nicht bald etwas in die Gänge kommt, dann „fahren wir gegen die Wand“, so seine Befürchtun­g.

Wie kann ein Ausweg aus der Blockade ausschauen? Mit einer weiteren Auflage der Großen Koalition auf jeden Fall nicht, lautet unisono die Meinung. Etwa mit einem neuen Mehrheitsw­ahlrecht? Oder mit mehr direkter Demokratie? Dann kommt, obwohl keiner von Griss Gesprächsp­artnern offensicht­lich mit der FPÖ sympathisi­ert, die heikle Frage auf: „Etwa mit einer Beteiligun­g der Blauen in der Regierung?“Denn, so die Hoffnung am Küchentisc­h in Jois „dann wachen die beiden Großpartei­en endlich auf.“

 ??  ?? Irmgard Griss startet ihre Tischgespr­äche: 300 meldeten sich für die Aktion. Das Los fiel auf einen Bewerber in Jois, der seine Freunde einlud
Irmgard Griss startet ihre Tischgespr­äche: 300 meldeten sich für die Aktion. Das Los fiel auf einen Bewerber in Jois, der seine Freunde einlud
 ??  ?? Die Sorgen der Mittelschi­cht dominierte­n die Diskussion: Hohe Kosten fürs Wohnen, Reformstau, schlechte Bildung für die Kinder
Die Sorgen der Mittelschi­cht dominierte­n die Diskussion: Hohe Kosten fürs Wohnen, Reformstau, schlechte Bildung für die Kinder
 ??  ??
 ??  ?? SPÖ-Minister Doskozil nimmt heuer 115 Mio. Euro in die Hand
SPÖ-Minister Doskozil nimmt heuer 115 Mio. Euro in die Hand

Newspapers in German

Newspapers from Austria