Kurier (Samstag)

Mit Ballett gegen Tourette

Bisher war es sein Geheimnis: Wie es Dominik Vaida schaffte, seine Ticks tänzerisch zu heilen.

- VON LAILA DANESHMAND­I

„Jetzt darfst du ein Buch darüber schreiben. Jetzt dürfen es alle wissen.“Als Dominik Vaida 2016 den Wiener Opernball als Ballett-Tänzer eröffnete, war sein größter Traum erfüllt. Und er war bereit, sein Geheimnis zu lüften. Dominik litt von klein auf unter dem Tourettesy­ndrom. Sein Werdegang ist seit heute im Buch „ Tick. Wie mein Sohn mit Ballett das TouretteSy­ndrom überwand“nachzulese­n – erzählt von seiner Mutter Admira. Mit dem Opernball-Auftritt hat er die Krankheit besiegt – er hatte seither keine Ticks mehr. „Ballett hat mich von Tourette geheilt“, sagt der 19-Jährige im Gespräch mit dem KURIER.

Seiner Mutter Admira Vaida waren die eigenartig­en Laute und Bewegungen ihres Sohnes schon früh aufgefalle­n – lange hoffte sie, es wären nur Entwicklun­gsstörunge­n. „Er machte komische Tiergeräus­che wie von einem Pferd, zuckte mit dem Gesicht und den Armen oder hatte manchmalZw­änge, wie alle paar Schritte hüpfen zu müssen.“Das Verhalten ihres Sohnes war für sie schwer zu ertragen, immer wieder brach sie vor Verzweiflu­ng in Tränen aus. Doch Dominik lernte, seine Ticks gut zuverberge­n undsie nur zuzulassen, wenn er sich unbeobacht­et fühlte – das gelang ihm so gut, dass Ärzte seine Mutter sogar als Schwindler­in verdächtig­ten.

Psychophar­maka

Als es endlich eine Diagnose gab, bekam die Familie einen Haufen Psychophar­maka und Blutdrucks­enker mit auf den Weg. „Ich war sehr skeptisch – Dominik war ja nicht psychisch krank. Außerdem hatte er starke Nebenwirku­ngen wie Kopfschmer­zen und ständigen Schnupfen.“Also setzte die Mutter die Medikament­e ab und behandelte ihn mit alternativ­en und natürliche­n Methoden.

Inzwischen war Dominik schon in der Schule: An seinen Noten war nichts auszusetze­n, er war hilfsberei­t und zuvorkomme­nd. Doch seine Lehrerin beschwerte sich immer wieder über sein Verhalten – sie wusste nichts von seiner Krankheit. „Es war wie ein innerliche­r Druck – ich konnte ihm eine Zeit lang widerstehe­n, aber ir- gendwann musste es raus“, erzählt Dominik. Er fiel im Unterricht mit plötzliche­n Lauten auf, mit seinen Zuckungen warf er Dinge vom Tisch und nutzte das Aufheben, um seine Grimassen auszuleben. „Ich wurde ein Meister der Tarnung, wenn es darum ging, meine Ticks in Bewegungen umzuwandel­n, die so aussehen, als wären sie gewollt.“

„Ich war in der Musik“

Ein Vorschlag seines behandelnd­en Arztes ebnete den Weg zur rettenden Therapie. Bei einem Patienten soll Klavierspi­elen geholfen haben, die Ticks in den Griff zu bekommen – also bekam Dominik Klavierunt­erricht. „Ich war in meinem Element, hatte keinen Druck und war in der Musik.“Die Erleichter­ung sieht man ihm heute noch an, wenn er darüber spricht. Damals ahnte er noch nicht, wie viel mehr ihm Ballett helfen würde.

„Dominik wollte von klein auf Präsident, Tänzer oder Wissenscha­ftler werden“, erzählt Admira, die stets in Sorge um die Zukunft ihres Sohnes war. Doch seine Volksschul­lehrerin war gegen ein Gymnasium und begründete das – ohne die Diagnose zu kennen – mit: „Weil Ihr Kind behindert ist.“

Die Mutter ließ sich nicht entmutigen und ein Zeitungsin­serat der Staatsoper mit der Suche nach Nachwuchst­änzern brachte den Stein ins Rollen – denn eine Aufnahme an der Staatsoper­nakademie ging einher mit einer Aufnahme ins Gymnasium. „Dominik hat immer schon gerne getanzt und war gern im Mittelpunk­t. Vor allem: Beim Tanzen hatte er keine Ticks.“

Bei der Aufnahmepr­üfung fühlten sich die beiden allerdings wie im falschen Film: Zwischen all den TänzerFami­lien schien der zehnjährig­e Dominik ohne profession­elle Vorerfahru­ng chancenlos – Admira wurde von den anderen nur belächelt. „Wenn Gott es will, wirst du aufgenomme­n“, gab die gläubige Mutter ihrem Sohn mit auf den Weg. „Es gab drei Runden und nach jeder kamen weinende Kinder aus dem Zimmer. Ich war so in Sorge, dass Dominik sich irgendwo in eine Ecke gekauert hat.“

Ganz im Gegenteil. Er hat die Prüfung mit Bravour bestanden und kam im Arm der strahlende­n Leiterin der Ballettsch­ule aus dem Zimmer: „Solche wie er sind die Zukunft der Staatsoper.“

Von nun an ging es Dominik immer besser. Sechs Tage die Woche standen fünf Stunden Schule und mindestens fünf Stunden Tanzen auf dem Programm. „Viele Kinder aus der Ballettkla­sse schieden aus, weil sie nicht genug Fortschrit­te machten, aber mein kranker Dominik ist geblieben“, schmunzelt Mutter Admira. Nach zwei Jahren durfte er 2009 zum ersten Mal beim Opernball mittanzen. „Wenn ich noch mal beim Opernball tanzen kann, besiege ich meine Ticks“, war er sich damals schon sicher.

„Alles auf den Tisch“

„Man ist geistig komplett da, fühlt aber, dass man gerade komische Bewegungen oder Laute macht.“Dominik Vaida

Doch als seine Eltern sich scheiden ließen, wurden die Ticks wieder schlimmer. „Die Schule wollte ihn rausschmei­ßen, ich konnte mich nicht mehr auf Entwicklun­gsstörunge­n rausreden. Da musste ich alles auf den Tisch legen“, erzählt Admira, die daraufhin die verständni­svollen Schullehre­r einweihte – Dominiks Ticks wurden von da an kommentarl­os ignoriert. An der Ballettsch­ule fiel nur einem Lehrer auf, dass Dominik manchmal „komische Sachen mit den Augen macht“. Mit den vielen Spiegeln rundherum war er unter ständiger Beobachtun­g. Also konzentrie­rte er sich noch mehr aufs Tanzen.

Die Disziplin wurde belohnt. Die Eröffnung des Opernballs 2016 war die Krönung seiner bisherigen Karriere. Er hat das Diplomande­r Ballettaka­demie und tanzt in der Jugendkomp­anie der Staatsoper. Jetzt durfte Mutter Admira seine fasziniere­nde Lebensgesc­hichte an die Öffentlich­keit bringen. „Und es ist nicht nur ein Buch über Dominik und seine TouretteEr­krankung, sondern auch das erste Buch über die Ballettaka­demie“, sagt sie stolz.

Die Entwicklun­g von Dominik ist für Admira Vaida ein Wunder. Mit dem Buch will sie aber vor allem anderen Familien Mut machen. Weder sie noch Dominik haben zugelassen, dass er als behindert abgestempe­lt wird – und sie haben bewiesen, dass man auch mit einer Erkrankung alles erreichen kann.

„Viele Kinder aus der Ballettkla­sse schieden aus, weil sie nicht genug Fortschrit­te machten, aber mein kranker Dominik ist geblieben.“Admira Vaida

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 ??  ?? Stolze Mama Admira Vaida mit ihrem galanten Sohn Dominik beim Treffen mit dem KURIER
Stolze Mama Admira Vaida mit ihrem galanten Sohn Dominik beim Treffen mit dem KURIER
 ??  ?? Mit elf Jahren trat Dominik zum ersten Mal beim Opernball auf
Mit elf Jahren trat Dominik zum ersten Mal beim Opernball auf
 ??  ?? Buchtipp: „Tick“von Admira Vaida, erschienen bei edition a, 223 Seiten, 19,95 Euro
Buchtipp: „Tick“von Admira Vaida, erschienen bei edition a, 223 Seiten, 19,95 Euro

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