Kurier (Samstag)

Der geschmiert­e Kontinent

Ein mächtiger Konzern bestach für Bauprojekt­e in großem Stil Politiker – darunter viele Staatschef­s

- VON IRENE THIERJUNG

Abgekartet­e Deals, geheime Konten und Geldwäsche; Brief kastenfirm­en, Staatschef­s unter Verdacht und ein Ex-Präsident auf der Flucht: Das sind die Zutaten des Bestechung­sskandals, der in Lateinamer­ika ganze Regierunge­n ins Wanken zu bringen droht. In Panama City skandierte­n Tausende Demonstran­ten gestern bereits: „Nie wieder Regierunge­n der Diebe und der Korrupten!“

Im Mittelpunk­t des Skandals, mit dem sich Behörden in 15 lateinamer­ikanischen Staaten sowie in den USA und der Schweiz befassen, steht der mächtige brasiliani­sche Mischkonze­rn Odebrecht, genauer gesagt dessen Bausparte CNO. Wie frühere TopManager einräumten, überwies Odebrecht zwischen 2001 und 2016 rund 788 Millionen Dollar Schmiergel­d in mehrere lateinamer­ikanische Länder sowie nach Angola und Mosambik. Damit erkaufte sich der Konzern mehr als 100 äußerst lukrative, meist überteuert­e Bauaufträg­e.

Lange Liste

Empfänger der Zahlungen waren staatliche oder teilstaatl­iche Betriebe wie die Erdölkonze­rne Petrobras in Brasilien und Pemex in Mexiko sowie Politiker jeglicher Coleur. Aber auch, und das birgt besonderen Spreng- stoff, die Präsidente­n der jeweiligen Staaten. Die Liste der Verdächtig­en (siehe Grafik) reicht von linken Ikonen wie dem 2013 verstorben­en venezolani­schen Präsidente­n Chavez über den mächtigen Kirchner-Clan in Argentinie­ns bis hin zu amtierende­n Regierungs­chefs wie dem kolumbiani­schen Präsidente­n und Friedensno­belpreistr­äger Santos – die stets dementiere­n. Perus Ex-Präsident Toledo ist angesichts der Vorwürfe in die USA geflüchtet, die ihn aus Mangel an Beweisen aber nicht ausliefern.

Die Schmiergel­der wurden über Umwege zu den Empfängern geschleust. Als möglicher Mittler gilt etwa die Anwaltskan­zlei Mossack Fonseca in Panama. Diese half u.a. ihren Kunden durch Brief kastenfirm­en, Steuern zu hinterzieh­en oder Geld zu waschen, was 2016 durch die „Panama Papers“bekannt wurde. In US-Ermittlung­sakten taucht auch eine „österreich­ische Bank“auf, über die Zahlungen von Odebrecht geflossen sein sollen. Nach Recherchen der ZIB2 soll es sich um die Meinl Bank Antigua handeln. Diese war bis 2010 eine Tochter der Meinl Bank AG in Wien, wurde aber bis 2014 zur Gänze verkauft. Die Meinl Bank wies gegenüber dem ORF jegliche Verstricku­ng in den Odebrecht-Skandal zurück.

„Autowäsche“

Aufgedeckt wurde der Skandal im Zuge der „Operacao Lava Jato“(Operation Autowäsche), in der Brasiliens Justiz Korruption rund um den Erdölkonze­rn Petrobras untersucht­e. OdebrechtC­hef Marcelo Odebrecht wurde 2015 verhaftet, da er ein Kartell angeführt haben soll, das sich durch Bestechung Petrobras-Bauaufträg­e sicherte. 2016 zu 19 Jahren Haft verurteilt, entschloss sich der 48-Jährige zur Zusammenar­beit mit den Behörden, was sein Strafmaß um neun Jahre reduzierte.

Möglich machte das ein Gesetz, das unter der im Vorjahr abgesetzte­n Ex-Präsidenti­n Dilma Rousseff verabschie­det worden war – die nun überrasche­nderweise ebenfalls als Verdächtig­e im OdebrechtS­kandal gilt. Von dem Gesetz machten insgesamt 78 ExTop-Manager Gebrauch.

Odebrecht verpflicht­ete sich schließlic­h im Dezember gegenüber Brasilien, den USA und der Schweiz zu Strafzahlu­ngen in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar. Die anhand der Manager-Aussagen ermittelte­n Schmiergel­dflüsse wurde nach Ländern aufgeschlü­sselt vom US-Justizmini­sterium veröffentl­icht, allerdings ohne Namen von Verdächtig­en.

Laut Claudia Zilla von der deutschen Stiftung Wissenscha­ft und Politik gibt es mehrere Gründe, warum die Korruption in Brasilien gerade unter dem linksgeric­hteten Staatschef Lula da Silva und seiner Nachfolger­in Rousseff derart ausuferte.

Einer sei das parlamenta­rische System, das kaum Sanktionen für Abgeordnet­e kenne, die sich darum oft kaufen lassen. In Brasiliens Wirtschaft gebe es darüber hinaus ein Oligopol. „Petrobras arbeitet unter sehr protektion­istischen Bedingunge­n. Der Markt ist nicht ganz offen für Wettbewerb“, erläutert die Lateinamer­ika-Expertin gegenüber dem KURIER. „Das sind günstige Bedingunge­n für eine Kartellbil­dung.“

Unter Lula seien viele Infrastruk­turprojekt­e begonnen worden, um die Wirtschaft anzukurbel­n. Brasiliani­sche Unternehme­n expandiert­en massiv ins Ausland, die brasiliani­sche Entwicklun­gsbank investiert­e in Großprojek­te in ganz Lateinamer­ika. All das habe schlicht mehr Möglichkei­ten für Korruption geboten. Aber, und das betont Zilla, „andere Länder sind nicht unbedingt weniger korrupt.“

Alltäglich­e Korruption

Irgendwann sei es im zunächst reibungslo­s funktionie­renden Korruption­ssystem zu Störungen gekommen, „weil jemand genauer hingeschau­t hat oder Loyalitäte­n verletzt wurden“. Es reiche, wenn einer zu reden beginne, dann würden andere aus Rache zu reden beginnen oder um sich zu retten. „Und dann arbeiten die Teile nicht mehr zusammen, sondern gegeneinan­der.“

Korrupte Politiker würden von der Bevölkerun­g akzeptiert, solange es eine Umverteilu­ng nach unten gebe: „In Zeiten von wirtschaft­licher Stagnation ist die Öffentlich­keit weniger tolerant.“Grundsätzl­ich sei Korruption ein gesellscha­ftliches Problem, nicht das Problem einer Elite. „Korruption gehört zum Alltag“, so Zilla. Beim Odebrecht-Skandal seien allein die Menge des Geldes und die Ranghöhe der handelnden Personen bemerkensw­ert.

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„Korruption veruntreut mein Land“: Proteste in Panama City

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