Kurier (Samstag)

Die große Kino-Serie von freizeit und Filmarchiv Austria, präsentier­t von Viennale-Direktor HANS HURCH

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Wanda Goronski ist die Frau eines einfachen Minenarbei­ters irgendwo im ländlichen Kohlerevie­r von Pennsylvan­ia. Ihr Mann lebt schon seit längerem von ihr getrennt, weil Wanda nicht imstande ist, sich um ihn und die gemeinsame­n Kinder zu kümmern. Als es zur Scheidung kommt, nimmt sie das Urteil teilnahmsl­os hin, als wäre von Menschen die Rede, die sie nicht kennt. Auf die Sorge des Richters um ihre beiden Kinder antwortet Wanda mit leiser, abwesender Stimme „I am no good. They are better off with him“. Danach zieht Wanda alleine los, nur mit ihrer Handtasche ausgestatt­et, ein paar geborgten Dollar, in den Haaren hat sie noch die Lockenwick­ler. Die erste Zufallsbek­anntschaft, ein durchreise­nder Vertreter, mit dem sie in einem Motel landet, lässt sie schon am nächsten Tag am Straßenran­d sitzen. Verwundert und seltsam ungerührt sieht Wanda dem Kerl nach, wie er sich mit seinem Wagen aus dem Staub macht. In der nächsten Stadt streift Wanda durch eine Shopping Mall, betrachtet die Auslagen der Geschäfte und das Treiben der Passanten, als wäre sie zum ersten Mal unter Menschen, bis sie erschöpft in einem Kino einschläft. „Wanda ist eine bestimmte Figur, wie es sie in Amerika und wahrschein­lich auch anderswo gibt, Menschen, die wir floating nennen“, sagte Regisseur Elia Kazan einmal in einem Gespräch über den Film seiner früh verstorben­en Frau Barbara Loden. „Wanda ist eine Frau, die ziellos an der Oberfläche der Gesellscha­ft dahintreib­t. Aber in der Geschichte des Films trifft sie für einige Tage auf einen Mann, der sie braucht. Das gibt ihrem Leben für kurze Zeit eine Richtung und Gewicht und als am Ende des Films dieser Mann erschossen wird, kehrt sie wieder zu ihrer alten Wanderung zurück.“Der Mann, der Wandas Wege kreuzt, hat gerade eine Bar ausgeraubt und nimmt die junge Frau fast widerwilli­g mit auf seine Flucht, wo sie ihm zur seltsamen Gefährtin wird. „Mister Dennis, don’t you want to know my name?“, fragt sie ihn eher verwundert als gekränkt, als sie am Morgen im schäbigen Hotelbett neben ihm aufwacht. Wie eine geduldige Schlafwand­lerin begleitet Wanda fortan den Gangster, der sie achtlos und lieblos neben sich duldet. Als eine Art Anti-„Bonnie und Clyde“– tragisch, berührend und verzweifel­t zugleich – unternimmt das Pärchen schließlic­h den Versuch eines Banküberfa­lls, der für Mister Dennis tödlich endet und eine traurige und noch verstörter­e Wanda zurückläss­t. Das ganz und gar Besondere und Einzigarti­ge an diesem ebenso zärtlichen wie gnadenlose­n Film ist die radikale Autorensch­aft, die sich mit ihm verbindet. „Wanda“ist kein Film über eine bestimmte Figur, nicht eine kinematogr­afische Erfindung, kein filmisches Porträt. „Wanda“ist in aller nur erdenklich­en Reinheit und Konsequenz Werk und Ausdruck der Person Barbara Loden. Der Künstlerin Barbara Loden als Autorin, als Regisseuri­n und als Darsteller­in der Wanda. Jeder Moment in diesem ebenso fragilen, genauen, lebendigen, riskanten und geheimnisv­ollen Film atmet ihren Geist. Als Barbara Loden 1970 bei Erscheinen des Films in einer TV-Talkshow über ihre Arbeit und die Figur der Wanda befragt wird, antwortet sie leise und zögerlich. „She is trying to do the best thing that she can. Life is a mystery to her.“

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