Kurier (Samstag)

„Wie in der französisc­hen Revolution“

Der KURIER sprach in der Kleinstadt Fontainebl­eau mit Aktivisten von Le Pen und Macron

- AUS FONTAINEBL­EAU DANNY LEDER

Auf dem Markt von Fontainebl­eau, einer Kleinstadt südlich von Paris, läuft der Schmäh: „Schnell zugreifen! Kauft die schwarze Blutwurst“(in Französisc­h: Boudin noir), ruft der Bio-Fleischer. „Wenn Marine Le Pen gewinnt, gibt es nur mehr die Weiße“( Boudin blanc, auf Deutsch: Leberwurst).

Der Standler hat die Lacher auf seiner Seite, die Wahlkämpfe­r für Le Pen sind über den Witz nicht begeistert. Eine junge Generation von Aktivisten, die erst unter Marine Le Pen zum „Front National“(FN) gestoßen ist, fühlt sich missversta­nden, wenn sie mit dem Rassismus in Verbindung gebracht wird, den noch der Parteigrün­der und Vater von Marine, Jean-Marie Le Pen, durchblick­en ließ.

Inzwischen hat aber die Tochter den Vater ausgeschlo­ssen und ihre Anhänger auf einen Nationalis­mus eingeschwo­ren, der theoretisc­h Franzosen aller Abstammung­en, Hautfarben und Konfession­en inkludiert.

Dazu hat Marine Le Pen General Charles de Gaulle zu ihrem Vorbild erklärt, also den Führer des Widerstand­es gegen die Nazibesatz­er während des Zweiten Weltkriege­s und späteren Staatschef, der Frankreich­s Kolonialhe­rrschaft in Algerien beendete. Weswegen er von Jean-Marie Le Pen bisher gehasst wurde.

Für Aymeric Durox, FNBoss im örtlichen Departemen­t (Verwaltung­sbezirk) Seine-et-Marne, ist der De Gaulle-Kult gerade richtig. Der 31-jährige Gymnasialp­rofessor für Geschichte bekamnocha­ls Kind von seinem Vater die Kriegserin­nerungen des legendären Generals vorgelesen.

Zuversicht

Durox strahlt die Zuversicht derjenigen aus, die sich auf der Siegerstra­ße wähnen, wenn er die Flugblätte­r mit dem Konterfei von Marine Le Pen verteilt. Slogan: „Frankreich wieder in Ordnung bringen.“

Dass ein paar Passanten über den FN lautstark schimpfen, tut er als „ungewöhnli­ch“ab. Bei denvergang­enen Regionalwa­hlen lag der FN im Departemen­t Seine-et-Marne mit 31 Prozent in Führung. „Wir erleben eine Schlüssel-Phase, in der alles möglich wird“, schwärmt Durox, der seine persönlich­en Ambitionen mit einem vermeintli­chen politische­n Aufbruch des Landes vermengt: „Das ist wie in der französisc­hen Revolution, als man über Nacht zum General ernannt werden konnte. Ich bin erst 2015 dem FN beigetrete­n und trotzdem schon zum Departemen­t-Sekretär ernannt worden. Unsere Bewegung gleicht haargenau der Revolution, die im Namen des Volkes erfolgte.“

Frankreich als Religion

Die Begeisteru­ng für die Revolution wird nicht von allen FN-Sympathisa­nten geteilt. Rémi Buchart, ein Bau-Unternehme­r, der mit seinem kleinen Sohn auf den Schultern zu den FN-Flugblattv­erteilern stößt, meint mit entwaffnen­dem Lächeln: „Offiziell darf ich das nicht sagen, aber ich halte nichts von Demokratie.“Buchart, der in einer royalistis­ch-klerikalen und antisemiti­schen Gruppe verkehrt, sagt auch: „Die Rasse-Kultur der Nazis war nicht nur negativ. Jeder sollte bei seinem Klan bleiben.“

Der FN-Politiker Durox glaubt hingegen, dass man auch jene muslimisch­en Jugendlich­en, die Terroransc­hläge verübten, für den französisc­hen Nationalis­mus gewinnen hätte können: „Es wurde ihnen keine transzende­ntale Antwort geboten wie einst der Patriotism­us im 19. Jahrhunder­t. Deswegen sind sie der Religion verfallen. Ich möchte, dass Frank- reich zu ihrer Religion wird.“

Laut Umfragen konnte Marine Le Pen ihr Wählerpote­nzial in Reihenhaus-Siedlungen, darbenden Provinzstä­dten und im ländlichen Raum auf sehr hohem Stand stabilisie­ren. Um in der Stichwahl im Mai zu gewinnen, muss sie aber auch außerhalb der Krisenregi­onen punkten. In Fontainebl­eau, einer schmucken Stadt mit Königsschl­oss als Touristena­ttraktion, ist der FN einstweile­n schwach aufgestell­t.

Pragmatisc­heMischung

Der Vizebürger­meister der Nachbargem­einde Avon, Francois Roy, ist ebenfalls auf dem Markt als Wahlkämpfe­r unterwegs. Er wirbt für Emmanuel Macron. Der soziallibe­rale und partei-unabhängig­e Reformer Macron gilt zumindest derzeit laut Umfragen als wahrschein­licher Gegenspiel­er von Marine Le Pen bei der Stichwahl um das Präsidente­namt Anfang Mai.

Der 50-jährige Francois Roy, ein stämmiger Ex-Berufsoffi­zier, wirkt als pädagogisc­her Leiter des örtlichen Forstamts (der Wald von Fontainebl­eau ist das größte Naherholun­gsgebiet für die Pariser). Jahrelang vertrat er als Kommunalpo­litiker die SP, bei den vergangene­n Gemeindewa­hlen bildete er eine gemeinsame Liste mit einer Politikeri­n des bürgerlich­en Zentrums, die den Sieg davontrug. „Das ist das Erfolgsrez­ept. Der Zusammensc­hluss der Pragmatike­r muss auch landesweit gelingen. Dafür steht Macron. Er ist vielleicht keine perfekte Persönlich­keit, aber bei ihm stimmt die Mischung zwischen Sozialem und Unternehme­rförderung“, meint Roy.

An seiner Seite steht JeanChrist­ophe Laprée, ein selbststän­diger Produkt-Designer, der aus einer bürgerlich­en Partei kommt und jetzt ebenfalls für Macron wirbt. Seine Argumente klingen allerdings etwas anders: „Ich bin liberal in wirtschaft­licher Hinsicht und liberal in Gesellscha­ftsfragen.“

Bleibt die Frage, ob ein derartiges Zentrumsge­spann unter Macron, das Kompromiss­bereitscha­ft erfordert und so gar nicht zur Tradition Frankreich­s gehört, im derzeitige­n, aufgeheizt­en Klima der populistis­chen Offensive von Le Pen genug entgegenzu­setzen hat.

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Politiker Durox verehrt De Gaulle, Buchart findet „Nazis nicht nur negativ“. Bürgerlich­er Laprée und Sozialist Roy stehen hinter Macron
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