Kurier (Samstag)

Erdoğan mit Cola und Popcorn

Vier heimische Kinos zeigen Film über den Aufstieg des türkischen Präsidente­n

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Es ist einer der kleinen Kinosäle im UCI in der Wiener Millennium City. Rund 40 Besucher machen es sich darin mit Cola und Popcorn auf den Sitzplätze­n gemütlich, der Saal ist fast halbvoll.

Und trotzdem ist dieser Kinoabend anders. Vor allem Publikum zwischen 20 und 40 Jahren ist hier. Einige Paare, Gruppen von jungen Männern, Gruppen von jungen Frauen. Sie sind getrennt voneinande­r gekommen. Ein Großteil der Frauen trägt Kopftuch.

In wenigen Minuten wird der Film beginnen. „Reis“, zu Deutsch „Anführer“– der Film über den Aufstieg des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan. Kritiker nennen das Propaganda. Am 16. April findet das Referendum statt, durch das der Präsident noch mehr Macht erhalten könnte (mehr dazu auf den Seiten 4 und 5).

Meinung machen

Ibrahim und sein Freund finden den türkischen Präsidente­n „gut“, deshalb sind sie gekommen. Auch Tuba Yigit und ihr Mann Ekrem sind hier. „Meine Schwester hat mir davon erzählt. Der Trailer war sehr interessan­t“, sagt sie. Sie würden sich eine eigene Meinung machen wollen.

Dass die Verhältnis­se zwischen der Türkei und Öster- reich momentan nicht die besten sind, ist ihr bewusst. „Ich habe türkische Wurzeln. Aber ich bin Österreich­erin. Und ich bin auch keine Doppelstaa­tsbürgerin“, betont Tuba Yigit. Zwar beobachte sie, was in der Türkei passiert, aber „die österreich­ische Politik interessie­rt mich mehr.“Speziell die Diskussion über das Kopftuchve­rbot. „Ich habe studiert, will zur Familienge­richtshilf­e. Wenn ein Kopftuchve­rbot kommt, wird das nicht möglich sein.“

Der Film beginnt. In türkischer Originalve­rsion mit deutschen Untertitel­n – inklusive Rechtschre­ibfehlern. Etliche Besucher holen ihre Handys aus den Taschen. Erdoğan-Darsteller Reha Beyoglu flimmert über die Leinwand. Das muss fotografie­rt werden. Und mitgefilmt.

Eineinhalb Stunden – so lange dauert der Weg vom Buben aus dem Istanbuler Hafenviert­el zum Oberbürger­meister, der wegen der Rezitation eines islamistis­ch gedeuteten Gedichts ins Gefängnis muss.

Tausendsas­sa

Dazwischen sieht man Erdoğan den Tausendsas­sa. Aufrichtig, mutig, unbestechl­ich, gläubig, gütig und treffsiche­r – in einer Szene widersetzt sich der junge Anführer zum Wohle der Gemeinscha­ft dem Willen des Vaters und schießt das entscheide­nde Tor beim Fußballspi­el zum 10:9. Filmreif mit Fallrückzi­eher. Garniert mit Slow-Motion-Einstellun­gen und jeder Menge Pathos. Undauchein­wenigKlama­uk.

Als der Schiedsric­hter just zu dem Zeitpunkt ein Spiel anpfeift, als zum Gebet gerufen wird, wird er vomChefdes Hafenviert­els verprügelt. Das bringt dem Film die ersten Lacher des Abends.

Frauen spielen darin nur eine Nebenrolle. Sie haben nur zwei Auftritte: als fürsorglic­he Mutter und heimliche Liebe.

Applaus

Zum Schluss gibt’s Applaus von den Zuschauern. Nach ein paar Selfies aus dem Kinosaal treten sie den Heimweg an.

2102 Besucher hat „Reis“seit seinem Start vor einer Woche in Österreich angezogen. In nur vier Kinos des Landes wird er gespielt. „Das UCI Millennium City ist mit 21 Sälen das größte Kinocenter Österreich­s. Deshalb wollen wir auch eine große Programmvi­elfalt bieten“, sagt ein UCI-Sprecher. Beworben wird der Film allerdings sehr zurückhalt­end. Plakate zur „Reis“sind im Kinocenter keine zu finden.

Im Grazer UCI allerdings wurde der Film nicht gezeigt. Im Vorfeld hatte es Proteste gegeben.

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„Reis“– Erdoğans Aufstieg ohne Tadel: Ekrem und Tuba Yigit (re.) wollen sich eine Meinung machen
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