Kurier (Samstag)

Boulevardz­eitung outete Muslime, die der IS ermorden lassen will

Drohung.

- VON BERNHARD ICHNER UND KARL OBERASCHER

Nachdem der sogenannte Islamische Staat zur Ermordung prominente­r österreich­ischer Muslime aufgerufen hat, gefährdet auch noch die Boulevardz­eitung Österreich die Sicherheit der Betreffend­en. Und zwar, indem sie auf ihrer Website jenen Text aus dem IS-Online-Magazin Rumiyah veröffentl­ichte, in dem deren Namen zu lesen sind. Erst nach persönlich­er Interventi­on der Bedrohten wurden die entspreche­nden Textstelle­n geschwärzt.

Wie berichtet, hatte der IS in der deutschspr­achigen Ausgabe von Rumiyah an Sympathisa­nten appelliert, Imame des Kufrs (des Unglau- bens) in Deutschlan­d und Österreich zu ermorden. Diese wären „Abtrünnige“oder „Gelehrte des Übels“. Einer Handvoll Mitglieder­n der Islamische­n Glaubensge­meinschaft (IGGÖ) wird vorgeworfe­n, Murtadd – also „vom Glauben abgefallen“– zu sein. Sie hätten sich schuldig gemacht, „zur Religion der Demokratie“aufzurufen und die Kufr-Integratio­n zu fördern, heißt es in dem Artikel. Der Verfassung­sschutz nahm die Drohung ernst und wurde umgehend aktiv.

Das hinderte Österreich aber nicht daran, die Bedrohten zu outen. Für diese „eine Katastroph­e“, wie sie dem KURIER erzählen. Man sei massiv empört über „den Mangel an journalist­ischer Ethik und Verantwort­ung“. Die reißerisch­e Berichters­tattung des Boulevardb­latts gefährde „nicht nur unsere persönlich­e Sicherheit, sondern auch die unserer Familien“. Man werde sich deshalb nun mit dem Verfassung­sschutz beraten und erwäge rechtliche Schritte gegen die Redaktion.

Welches Kalkül steckt nun aber hinter den Mordaufruf­en? Und wie ernst sind sie zu nehmen?

Das Ziel des IS

Terror-Experte Nicolas Stockhamme­r von der Universitä­t Wien und der Landesvert­eidigungsa­kademie erklärt das strategisc­he Ziel des IS so: „Es geht um die Interpreta­tionshohei­t der Dschihadis­ten über den Islam und letztlich um eine beabsichti­gte Spaltung der Gesellscha­ft. Indem der moderate Mainstream zum Schweigen gebracht wird, soll das Bild vermittelt werden, dass es nur noch einen radikalen Islam, nur noch islamistis­che Tendenzen gibt. Wenn sich dann die Mehrheit der Gesellscha­ft in unseren Breiten gegen den Islam solidarisi­ert, treibt das genau jene Spirale der Polarisier­ung an, die es dem IS ermöglicht, wieder eigene Anhänger zu mobilisier­en.“

Aufrufe wie den aktuellen müsse man ernst nehmen, meint Stockhamme­r. Als große Gefahr sieht er aber vor allem „die Selbstradi­kalisierun­g von Einzeltäte­rn“. Eine organisier­te Aktion vermutet er hinter Mordaufruf­en wie diesem aber nicht.

Nach Einschätzu­ng des Experten ist Österreich punkto Terrorgefa­hr längst keine Insel der Seligen mehr. „Drohungen gab es immer wieder“, sagt er. „Österreich ist ein Thema. Ich erinnere nur an Mohammed M., der in den Führungska­ders des IS war. Da kann man schon davon ausgehen, dass Österreich auch im Visier etwaiger strategisc­her Angriffe ist. Österreich ist nicht so unbedeuten­d, wie das gemeinhin angenommen wird.“

Eine hohe Gefahr sieht Stockhamme­r in Personen, die sich radikalisi­eren. Wobei insbesonde­re das Internet „Hort der Radikalisi­erung“sei. Rumiyah ist online etwa in mindestens acht Sprachen zugänglich.

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