Kurier (Samstag)

Ganz Kärnten bäckt jetzt slow

Slow Food wollte einen einzigen Bäcker überzeugen – jetzt wollen zehn wieder so backen wie früher

- VON ANITA KATTINGER

Reisen zu den Wurzeln des guten Geschmacks – in die Kärntner Täler, zu ihren Menschen und Geschmäcke­rn, zu den traditione­llen Lebensmitt­elproduzen­ten mit ihrem alten Handwerk. So hatte es sich Barbara van Melle, Chefin von Slow Food Wien, erträumt. Aber die Umsetzung sollte komplizier­t werden.

Für ihr neues Projekt „Slow Food Travel Alpe Adria“hatte die BackbuchAu­torin nach lokalen Mitstreite­rn in Kärnten gesucht, schließlic­h sollten die zahlenden Reisenden nicht Marmeladen großer Ketten oder Aufbackbrö­tchen aus demSuperma­rkt in den Hotels morgens aufgetisch­t bekommen. Als die Wienerin bei dem ersten Bäcker in einem kleinen Ort anfragte, ob er frisches Natursauer­teigbrot backen und für die Frühstücks­buffets liefern könne, schüttelte dieser den Kopf. Er backe mit Fertigback­mischungen und an eine Umstellung denke er nicht – zu teuer seien Produktion und regionale Zutaten.

Van Melle wollte nicht aufgeben, suchte weiter und wurde in Kötschach-Mauthen fündig. Bäcker- und Konditorme­ister Thomas Matitz und seine Ehefrau Angelika hatten ein offenes Ohr. „Wir waren selber gar nicht mehr zufrieden. Mein Mann wollte kreativ sein, aber wer mit Backmischu­ngen bäckt, kann nicht kreativ arbeiten. Dass Barbara plötzlich vor unserer Tür stand, war eine glückliche Fügung“, erzählt das Ehepaar.

Lehrer für die Meister

Doch der 47-jährige Matitz hatte nie gelernt, selber Natursauer­teig anzusetzen. „In den 80ern führten die Bäckereien Trockensau­erteig ein. Da dieser Prozess nicht im- mer funktionie­rte, mischten wir noch Enzyme hinzu. Uns fehlte das Wissen.“Für die fehlende Theorie gab es eine Lösung: Ein Lehrer musste gefunden werden, schließlic­h konnte sich der Kärntner Bäckermeis­ter nicht leisten, seine Backstube für mehrere Wochen zu schließen.

Der 27-jährige Simon Wöckl, Agrarwisse­nschafts- Student und junger Bäckermeis­ter aus Oberösterr­eich, der bei seinem Onkel das Handwerk erlernt hatte, wollte helfen. „Ein Sauerteig ist keine Wissenscha­ft. Das Ziel war, jene Produkte, die Matitz bereits im Verkauf hatte, zu verfeinern.“Nach zehn Monaten war der Betrieb komplett umgestellt.

Zwar erfordert das Backen ohne Helferlein mehr Zeit, dafür gibt das Ehepaar für Rohstoffe weniger aus als für Industriep­rodukte – sie kaufen ohne Zwischenhä­ndler direkt bei den Landwirten. Auch eine kleine Getreidemü­hle steht jetzt in der Backstube. Die Folge: Der Umsatz hat sich verdoppelt und vier Vollzeit-Arbeitskrä­fte konn- ten eingestell­t werden. Die Kunden kommen nun aus einem Radius von 100 Kilometern, umdasBrot aus regionalen Zutaten zu probieren. Angelika Matitz: „Mein Mann kann sich entfalten: So haben wir ein neues Traubenker­nmehl-Brot im Angebot. Die Alten sagen, dass unser Brot wieder so schmeckt wie in den 60ern. Niemand fragt nach dem Preis, die Leute zahlen.“Die Höhe der Teuerung? „20 Cent pro Laib.“

Das Erfolgspro­jekt hat sich in Kärnten herumgespr­ochen: Neun „g’standene“Bäcker lernen von Wöckl das Backen neu.

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Der Kärntner Bäcker Thomas Matitz (li.) stellte mit der Hilfe von Simon Wöckl seinen Betrieb um und verzichtet auf Fertigback­mischungen – sein Umsatz hat sich verdoppelt
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 ??  ?? Barbara van Melle sucht Bäcker, die kreativ arbeiten wollen
Barbara van Melle sucht Bäcker, die kreativ arbeiten wollen
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