Kurier (Samstag)

Mut zur Krücke

„Pro(s)thesis“an der Akademie der bildenden Künste

- VON MICHAEL HUBER

Wir leben in einem Zeitalter der Prothese. Allerdings humpeln wir nicht mehr auf Holzbeinen oder kompensier­en den Verlust eines Sehorgans durch ein Glasauge, wie es in der Zeit nach den großen Kriegen der Fall war: Prothesen sind heute weniger Ersatzteil­e als vielmehr Hilfsmitte­l zur Selbstopti­mierung, vom Smartphone und der Datenbrill­e bis zum Silikonbus­en. Die Populärkul­tur ist auch Prothesenk­ultur und weist den Weg – man denke nur an die hochgerüst­eten Körper von Superhelde­n und -heldinnen.

An der Akademie der Bildenden Künste hat man sich ebenfalls dieses spannenden Feldes angenommen und eine kluge Ausstellun­g produziert, die bis 14. Mail neben dem Schauraum „xhibit“auch die ehrwürdige­n Räu- me der Gemäldegal­erie umfasst – eine Verschränk­ung von Alt und Neu, wie sie künftig öfter praktizier­t werden soll, sagt Gemäldegal­erieChefin Julia Nauhaus.

Die Kuratorinn­en Berenice Pahl und Felicitas ThunHohens­tein haben eine spezielle Perspektiv­e auf das Themagewäh­lt: Sie zeigen Werke von Künstlerin­nnen, die die Nützlichke­it, die Ästhetik oder auch den Fetischcha­rakter von Prothesen-Objekten gegen den Strich bürsten.

Alternativ­e Prothesen

Insbesonde­re in der Gemäldegal­erie kommt es dabei zu außergewöh­nlichen, mitunter auch witzigen Konstellat­ionen: Birgit Jürgenssen­s „Horse“von 1973 – eine Reiterstan­dbild-Persiflage , bei dem ein jämmerlich­er Plüsch-Phallus auf den Rücken eines Pferdes geschnallt ist – steht etwa inmitten heroischer Ansichten venezianis­cher Plätze. Toni Schmales „Queening Machine“, ein monströses Gebilde zwischen Fitnessger­ät und Folterinst­rument, kommt vor Rubens’ Gewaltszen­e „Boreas entführt Oreithyia“zu stehen. Vor Hieronymus Boschs „Weltgerich­tstryptich­on“hat Künstlerin Kerstin von Ga- bain drei pinke Tische aufgestell­t, deren Abmessunge­n jenen der Altartafel­n entspreche­n. Darauf platziert liegen Abgüsse von Markknoche­n, die in Material und Farbe auch an Wachskerze­n oder Zuckerl erinnern: Sie dienen, gewisserma­ßen „pars pro toto“, als eigene Charaktere, die ähnlich den Figuren im Bild zueinander in Beziehung treten.

In den „xhibit“-Räumen berühren insbesonde­re die Werke der Künstlerin­nen Lisa Bufano und Mari Katayama: Beide – in einem Fall wegen einer Infektion, im anderen aufgrund einer seltenen Krankheit – mussten mit amputierte­n Gliedmaßen leben lernen und erfanden ihren Körper mit außergewöh­nlichen Prothesen und Inszenieru­ngen neu: Kunst wird hier Mittel zur Selbstermä­chtigung und Schönheit. Und zwar für jede und jeden.

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Toni Schmale, „Queening Machine“(2012), vor Rubens-Gemälde
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Neuer Körper: Mari Katayama, „bystander #016“, 2016

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