In Reimform gegen Erdoğan: Die Affäre Böhmermann jährt sich
Satire.
Dass ein Gedicht mal eine Staatskrise auslösen könnte, war vor einem Jahr noch annähernd undenkbar. Dann kam Jan Böhmermann. Auch wenndie Erinnerung an die Erdoğan-Nummer verblasst, zeigt sich heute: Der Fall ist noch lange nicht bei den Akten. Und aktueller denn je.
Wer auf Wikipedia die Kategorie „Politische Affäre in der Bundesrepublik Deutschland“aufruft, findet Böhmermanns Nachnamen – ebenso wie den des ehemaligen Ministerpräsidenten Uwe Bar- schel und des DDR-Spions Günter Guillaume. Wie die Barschel- und die GuillaumeAffäre ist auch die „Böhmermann-Affäre“Teil der deutschen Geschichte geworden.
Diese Affäre jährt sich heuer zum ersten Mal: Am 31. März 2016 trug Böhmermann in seiner Sendung das Gedicht „Schmähkritik“vor. In einem Lied hatte sich zuvor schon das Satire-Magazins „extra 3“( NDR) über den türkischen Staatspräsidenten lustig gemacht – und diplomatische Verstimmungen verursacht. Böhmermann setzte noch einen drauf.
Mit seinem brutal untergriffigten Text wolle er den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik verdeutlichen, erklärte er. (Unter anderem warf er Erdoğan Sex mit Tieren vor. )
Erdoğan beschritt den Rechtsweg. Und die deutsche Bundesregierung machte den Weg für ein Strafverfahren gegen Böhmermann frei.
Über Tage bestimmt das Gedicht die Agenda. Deutschland diskutiert plötzlich über Kunstfreiheit, Satire und das Verhältnis zur Türkei. Selten zuvor hatte eine deutsche Show-Nummer solche Auswirkungen. Im Rück- blick wirkt die damalige Aufregung absurd. Mittlerweile wirft die Türkei den Deutschen vor, sich wie Nazis zu verhalten. Eine Steilvorlage für Böhmermann, der diese Woche in seiner Sendung witzelte: „Diese ganzen Nazivergleiche ... Wenn er wenigstens die Gedichtform wählen würde.“