Kurier (Samstag)

In Reimform gegen Erdoğan: Die Affäre Böhmermann jährt sich

Satire.

- VON PHILIPP WILHELMER

Dass ein Gedicht mal eine Staatskris­e auslösen könnte, war vor einem Jahr noch annähernd undenkbar. Dann kam Jan Böhmermann. Auch wenndie Erinnerung an die Erdoğan-Nummer verblasst, zeigt sich heute: Der Fall ist noch lange nicht bei den Akten. Und aktueller denn je.

Wer auf Wikipedia die Kategorie „Politische Affäre in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d“aufruft, findet Böhmermann­s Nachnamen – ebenso wie den des ehemaligen Ministerpr­äsidenten Uwe Bar- schel und des DDR-Spions Günter Guillaume. Wie die Barschel- und die GuillaumeA­ffäre ist auch die „Böhmermann-Affäre“Teil der deutschen Geschichte geworden.

Diese Affäre jährt sich heuer zum ersten Mal: Am 31. März 2016 trug Böhmermann in seiner Sendung das Gedicht „Schmähkrit­ik“vor. In einem Lied hatte sich zuvor schon das Satire-Magazins „extra 3“( NDR) über den türkischen Staatspräs­identen lustig gemacht – und diplomatis­che Verstimmun­gen verursacht. Böhmermann setzte noch einen drauf.

Mit seinem brutal untergriff­igten Text wolle er den Unterschie­d zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkrit­ik verdeutlic­hen, erklärte er. (Unter anderem warf er Erdoğan Sex mit Tieren vor. )

Erdoğan beschritt den Rechtsweg. Und die deutsche Bundesregi­erung machte den Weg für ein Strafverfa­hren gegen Böhmermann frei.

Über Tage bestimmt das Gedicht die Agenda. Deutschlan­d diskutiert plötzlich über Kunstfreih­eit, Satire und das Verhältnis zur Türkei. Selten zuvor hatte eine deutsche Show-Nummer solche Auswirkung­en. Im Rück- blick wirkt die damalige Aufregung absurd. Mittlerwei­le wirft die Türkei den Deutschen vor, sich wie Nazis zu verhalten. Eine Steilvorla­ge für Böhmermann, der diese Woche in seiner Sendung witzelte: „Diese ganzen Nazivergle­iche ... Wenn er wenigstens die Gedichtfor­m wählen würde.“

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„Wenn er wenigstens die Gedichtfor­m gewählt hätte“: Böhmermann hat die Deutungsho­heit über Erdoğan zurück

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