Mehr als Kebab, Dürüm und Baklava
Austrotürken erobern auch neue Branchen, aber sie nehmen oft zu viele Risiken in Kauf
„Cut and go, kein Problem“, sagt Füsun Ecevit zu einer Kundin am Telefon, das alle fünf Minuten läutet. Waschen, schneiden, ohne föhnen, das liegt im Trend. „Früher haben wir aufwendig geföhnt. Heute ist der Look neutraler“, sagt Ecevit in ihrem Frisörsalon „Hauptsache“in der Wiener Neubaugasse. Früher, das sind die Achtziger, als sie einen der ersten türkischen Frisörsalons in Wien gründete. Die gebürtige Türkin ist eine Pionierin unter türkischen Unternehmern. Nicht nur die Frisuren hätten sich geändert, sagt sie, auch wie türkischstämmige Österreicher wirtschaften.
Der Kebab-Stand, der Gemüsehändler am Markt, der Frisör umdie Ecke: Jahrzehntelang standen sie stellvertretend für türkisches Unternehmertum in Österreich. Laut Schätzungen der Wirtschaftskammer gibt es hierzulande rund 3000 austrotürkische Unternehmer. Rund 950 Arbeitgeberbetriebe mit türkischem Migrationshintergrund in Wien zählte das Forschungsinstitut Synthesis im Jahr 2014. Ein Höchstwert. Die nächste Gruppe, die Deutschen, führt nur halb so viele Unternehmen.
Neue Branchen
„Vor zehn Jahren hätte ich gesagt: Restaurants und Imbissstände sind die Branchen türkischstämmiger Unternehmen“, sagt Oktay Koçaslan, Unternehmer und stellvertretender Obmann des türkischen Unternehmerverbands MÜSIAD. „Heutzutage kann man in fast jeder Branche Türken antreffen. Es gibt Mediziner, Rechtsanwälte, Restaurantketten, Kfz- Werkstätten, Installateure, Elektriker, sehr viele Dachdecker. Das ist mittlerweile bunt gestreut.“
Frisörin Ecevit hat für den Trend zur Selbstständigkeit eine Erklärung parat: „In Zeiten höherer Arbeitslo- sigkeit versuchen das die Leute auch aus der Not heraus“, erklärt sie die Gründerstimmung. Unter Türken liegt die Arbeitslosenrate bei rund 20 Prozent, also weit über dem österreichischen Durchschnitt.
Ecevits Erfolg als Unternehmerin hat über die Jahre einige Nachahmer auf den Plan gerufen. „Nachahmung gibt es leider, das haben wir ganz gern“, sagt sie. Es ist ein Phänomen, das die Wiener von Kebab-Ständen her kennen: An belebten Orten stehen oft mehrere Hütten nebeneinander, führen aber ein identes Angebot.
„Was viele nicht verstehen, ist, dass es ein durchdachtes Konzept braucht“, sagt Ecevit. Hinzu komme eine hohe Risikobereitschaft. „Die ist unter türkischstämmigen Unternehmern absolut da. Manchmal denke ich mir, dass diese Risikobereitschaft fast schon gefährlich ist.“
Oktay Koçaslan sieht das ähnlich. „Oft wird der Fehler gemacht, ohne die nötige Kompetenz in eine Branche einzusteigen und Unmengen privates Geld zu investieren“, sagt der 39-Jährige. „Wenn sie kein Glück haben, müssen sie zusperren und das Geld ist futsch.“Er kenne Fälle, bei denen Geschwister Kredite aufgenommen hätten, um ein Geschäft zu retten. „Das kann ganze Familien betreffen.“
Koçaslan hat einen anderen Weg eingeschlagen. Er ist Inhaber von Clean OK, ein Handelsunternehmen, das sich auf Hygienesysteme für die Hotellerie und Gastronomie spezialisierte. Heute hat das Unternehmen zehn Mitarbeiter und „wächst stetig“, sagt Koçaslan.
Lieber unabhängig
In seiner Branche gebe es kaum türkischstämmige Unternehmer, sagt er. Ob das so bleibt, wird sich ob des Drangs zur Selbstständigkeit in der türkischen Community noch zeigen. „Ich denke, es ist der Wille zur Unabhängigkeit, also nicht in einem Unternehmen zu arbeiten, der das antreibt“, sagt er. „Dass man als Angestellter mehr Sicherheiten und mehr Zeit hat, da kommen viele erst im Nachhinein darauf.“
Politik, nein danke
Seine Tätigkeit für MÜSIAD läuft nebenbei. Den 60 Mitgliedsunternehmen bietet der Verband Beratung und Vernetzung. MÜSIAD sei von der Politik unabhängig, betont Koçaslan. Der Grüne Peter Pilz hat den Verband jüngst in die Nähe eines für die türkische Regierung tätigen Spitzelnetzwerks gerückt. „Die Anschuldigungen entsprechen nicht im Geringsten der Wahrheit“, sagt er.
Aus der Politik will sich Frisörin Füsun Ecevit hingegen heraushalten. Ihr Erfolgsrezept ist einfach: „Wenn man sich positiv gegenüber anderen Menschen verhält, bekommt man Positives zurück“, sagt sie.