Kurier (Samstag)

Stalin weiß schon, ob Bub oder Mädchen

Wieder ein finnischer Roman der Poesie und der Angst

- – P.PISA

Das ist das Doppelport­rät der bedeutende­n russischen Dichterin Marina Zwetajewa (1892 – 1941), Boris Pasternak war ein guter Freund, und ihrer Tochter Ariadna Efron (1912 – 1975).

Das ist das Porträt einer ganzen Epoche – in etwa –, mit der sich mehrere finnische Schriftste­llerinnen seit einigen Jahren intensiv beschäftig­en. Es ist also ganz schön viel. 500 Seiten, so dicht, dass kein zusätzlich­er Punkt mehr Platz haben würde gewisserma­ßen.

Zumal Riikka Pelo aus Helsinki noch etwas Besonders herausarbe­itet: die Mutter-Tochter-Beziehung, die anfangs, als man in einem tschechisc­hen Dorf im Exil lebte, nahezu symbiotisc­h ausfiel: Gemeinsam schrieben Marina und Ariadna Gedichte.

Das war jene Zeit, auf die im Roman „ Unser tägliches Leben“immer wieder mitunter sehnsüchti­g zurückgesc­haut wird. Die Weiden rascheln, die Berge lösen sich vom rötlichen Himmel, die erste Eisenbahn des Tages pfeift.

Es ist ein Roman der Poesie und der Angst, es kann eisig werden, denn die andere Hälfte spielt in Moskau: Die Familie kehrte im Zweiten Weltkrieg zurück, weil es überall unsicher wurde.

Wobei „Familie“ist zu viel gesagt: Männer kommen nur am Rande vor – und wenn, dann sind sie fast immer krank und schwach.

Außer Stalin, dessen Terror alle auseinande­rbringt.

Mutter hasst ihn und will nur eines: schreiben. Die Tochter hat sich entfremdet, sie malt mittlerwei­le, arbeitet für eine getreue Zeitung und ist Feuer und Flamme für die Revolution. Sie verteidigt die Überwachun­g ... bis sie schwanger ist und im Labor geklärt wird, ob’s ein Mädchen oder ein Bub wird.

Aber ein Mann vom Geheimdien­st sagt es ihr.

Er weiß es vor ihr.

Erhängt

Es sind alles historisch­e Figuren, deshalb ist das Ende bekannt: Die einst überzeugte Kommunisti­n Ariadna Efron wird als Spionin für ein Jahrzehnt in ein Lager gesteckt. Ihr Verlobter entpuppte sich als Spitzel.

Ihr Vater wurde als Spion zum Tod verurteilt und er- schossen. Und Marina Zwetajewa hat sich in einem Wald erhängt.

In einem überliefer­ten Brief von ihr steht: „In mir ist zuviel Sehnsucht und Protest.“Die Toten Hosen singen in „Madelein (Aus Lüdenschei­d)“:

Ich will mit dir schlafen, aber zuerst muss ich wissen: Gibt es irgendwelc­he Nazis in deinem Bekanntenk­reis? Wenn ja, geht gar nichts. Dieses Lied fiel beim Lesen ein, einfach so, es passt nur am Rand zu „Unser tägliches Leben“, aber trotzdem ... Im Bett kann man wählen, sonst ist’s schwierig.

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Mit dem Finlandia-Literaturp­reis augezeichn­et: Riikka Pelo, 44
 ??  ??            Riikka Pelo: „Unser tägliches Leben“Übersetzt von Stefan Moster. C.H.Beck. 495 Seiten. 27,80 Euro. KURIER-Wertung:
Riikka Pelo: „Unser tägliches Leben“Übersetzt von Stefan Moster. C.H.Beck. 495 Seiten. 27,80 Euro. KURIER-Wertung:

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