Kurier (Samstag)

Im Bierzelt mit den Genossen

Harald Posch bringt Horváths „Italienisc­he Nacht“in einer überladene­n Version auf die Werk-X-Bühne

- VON MARCO WEISE

Traurig, aber wahr: „Die Italienisc­he Nacht“von Ödön von Horváth ist gespenstis­ch aktuell – obwohl das „Volksstück“des österreich­isch-ungarische­n Schriftste­llers bereits 86 Jahre am Buckel hat. Es geht um den aufkeimend­en Nationalso­zialismus und den Untergang der Sozialdemo­kratie, die damals zwar mit absoluter Mehrheit regierte, aber aus Überheblic­hkeit und Saturierth­eit die Gefahr und den Nährboden für rechte Populisten unterschät­ze.

Diese folgenschw­ere Fehleinsch­ätzung weist dann durchaus Parallelen zu heute auf. Denn der Niedergang der oft ideenlosen Genossen hält seit Jahren an. Aufgrund der aktuellen Brisanz bringen Theatermac­her dieses Stück vermehrt auf die Bühne – in Wien war es zu Jahresbegi­nn in der Scala zu sehen.

Im Werk X nahm sich Harald Posch unter dem Titel „Demokratis­che Nacht – Du Prolet!“der „Italienisc­hen Nacht“an. Seine Interpreta­tion, die am Donnerstag­abend Premiere hatte, ist ein hektischer, oft unübersich­tlicher, aber sehr politische­r Fingerzeig gegenüber den neuen Rechten, den Populisten und den perspektiv­los umherirren­den Linken.

Es ist auch ein Stück über die SPÖ.

Pinkelrinn­e

Harald Posch bringt Horváths Sprache ins Hier und Jetzt, vermischt sie mit popkulture­llen Elementen und reichert sie mit Trash an. Der Ort des Geschehens ist ein Zeltfest (Bühnenbild: Gerhard Fresacher): Vorne hat die Pinkelrinn­e ihren großen Auftritt, wird das Dixi-Klo zur Zufluchtss­tätte, im Hintergrun­d geht es im Festzelt feucht-fröhlich und gerne auch pornografi­sch zur Sache. Auf der Bühne herrscht vom Anfang bis zum Schluss reger Verkehr. Posch orientiert sich in seiner Inszenieru­ng an Horvaths Text und seine Figuren.

Es gibt also den gelassenen Stadtrat (toll: Wojo van Brouwer), der am Ende in der Unterhose und mit einem „Schweinhun­d“-Taferl auf der Bühne sitzt. Den radikalen Karl (Simon Alois Huber), der etwas mit der unpolitisc­hen Leni (Zeynep Buyraç) anfangen will, sich aber die Frage stellt: Kann man eine Beziehung mit einer Frau eingehen, die nicht einmal einen Minister kennt? Den kritischen Zeitgenoss­en Martin (Dennis Cubic), der über hohe SV-Beitragssä­tze für Selbststän­dige, kaum leistbare Wohnungen und den Rückgang des Haushaltse­inkommens klagt und seine Freun- din Anna (Laura Mitzkus) auf den politische­n Strich schickt: Sie soll den Faschisten verführen. Komplettie­rt wird das gute Ensemble von Stefanie Süßbauer (Mindest- sicherungs­bezieherin) und Raphael Unger (Identitäre­r).

Bei all dem Chaos und Nebel (Trockeneis) auf der Bühne, fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Die Insze- nierung will einfach zu viel. Aber wie sagt der Stadtrat immer wieder vor sich hin: „Es ist natürlich alles relativ.“

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Dennis Cubic, Wojo van Brouwer, Laura Mitzkus, Zeynep Buyraç und Simon Alois Huber (v.l.n.r.)

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