Kurier (Samstag)

Ökonom Marcel Fratzscher

Flüchtling­e werden EU nicht sprengen, sagt der deutsche Top-Forscher

- VON CHRISTINE KLAFL

KURIER: Sie sind immer wieder zu Vorträgen in Österreich. Machen Sie auch Urlaub bei uns? Marcel Fratzscher: Ja. Österreich ist ein schönes Land. Die Frage war deshalb, weil Sie hier viele Ihrer Landsleute treffen, die im österreich­ischen Tourismus arbeiten. Was macht die Deutschen so mobil?

Die Deutschen sind gar nicht so mobil. Da gibt es sehr große regionale Unterschie­de und ein starkes Nord- Süd-Gefälle. In Bayern ist die Arbeitslos­enrate bei drei Prozent, im Osten um die zehn Prozent. Dass die Unterschie­de nicht zu groß werden, da ist die Politik gefragt. Im Grundgeset­z steht, es muss gleiche Lebensbedi­ngungen für alle geben. In Österreich wird gerade viel über Mindestlöh­ne diskutiert. Wie sind Ihre Erfahrunge­n damit?

2015 wurde erstmals ein flächendec­kender Mindestloh­n gesetzlich eingeführt. Vier Millionen Beschäftig­te haben davor weniger verdient. Es gab nur sehr geringe negative Effekte. Heuer wurde der Mindestloh­n auf 8,84 Euro brutto pro Stunde erhöht. Soll er bald weiter steigen?

Ich warne davor, ihn zu rasch zu erhöhen. Man sollte ihn dort belassen, wo er ist. Wir haben zwar mehr als eine Million offene Jobs. Aber auch 2,6 Millionen Arbeitslos­e. Und in den kommenden Jahren werden viele Flüchtling­e auf den Arbeitsmar­kt kommen. Niederlass­ungsfreihe­it, aber ganz unterschie­dliche Lohnniveau­s – entwickelt sich das nicht immer mehr zum Problem in der EU? Es war schließlic­h mit ein Grund für den Brexit.

Ich halte von einer Beschränku­ng der Freizügigk­eit gar nichts. Alle vier Freiheiten sind wichtig für den Binnenmark­t. Die Migration ist enorm wichtig für viele Jobs, zum Beispiel in der Pflege. Länder wie Deutschlan­d profitiere­n davon. Was halten Sie von Diskussion­en, Migranten das Geld für Kinder, die im Heimatland geblieben sind, zu kürzen?

Nichts. Missbrauch gilt es abzuschaff­en. Aber dass es eine Zuwanderun­g in Sozialsyst­eme gibt, ist populistis­cher Quatsch. Zuwanderun­g ist ein wirtschaft­licher Gewinn für Länder wie Österreich und Deutschlan­d. Man muss genau auf die Zahlen und Fakten schauen. Migrations­ströme und das Unvermögen, Flüchtling­e in der EU zu verteilen: Hat das Potenzial, die EU zu sprengen?

Die Umverteilu­ng ist wirklich ein wunder Punkt in Deutschlan­d und Österreich. Das erfordert mehr Solidaritä­t in Europa. Da braucht man einen Mechanismu­s, der funktionie­rt. Welcher könnte funktionie­ren?

Zum Beispiel, dass ein Land, das keine Flüchtling­e aufnimmt, Geld dafür zahlen muss. So etwas wie ein Kopfgeld?

Das ist hart ausgedrück­t, aber ja. Wo sehen Sie die größte Gefahr für die EU?

Die größte Gefahr ist derzeit Italien. Auf die Bankenkris­e kann eine Staatsschu­ldenkrise kommen. Vielleicht auch ein Referendum über den Austritt aus EU und Euro. Es ist traurig, was in Griechenla­nd passiert, aber das hatte keine negative Auswirkung­en auf die europäisch­e Wirtschaft. Eine Pleite Italiens könnte Europa nicht verkraften. Was halten Sie von einer Spaltung der Eurozone und der Einführung von einem Nord- und einem Süd-Euro?

Gar nichts. Mit einem Süd-Euro würde Italien keine zwei Prozent Zinsen zahlen so wie jetzt. Der Euro ist nicht der Schuldige, die falsche Politik ist schuld.

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