Kurier (Samstag)

Hoch explosive Lage am Balkan

Sturm auf das Parlament als „Problem für die ganze Region“

- VON STEFAN SCHOCHER

AmTag danach reichen die Reaktionen von Verwunderu­ng bis offener Besorgnis. Was sich in der Nacht auf Freitag in Mazedonien­s Hauptstadt Skopje abgespielt hat, ist nicht nur die schwerste Eskalation der seit Monaten schwelende­n Krise in dem Balkanland, es war eine Eskalation, die diese Krise auf eine neue Ebene katapultie­rt hat. Vor allem aber: Die Gewaltausb­rüche im Parlament des Landes haben gezeigt, wie explosiv dieser Konf likt ist, der das Potenzial hat, die ganze Region zu erfassen.

In der Nacht auf Freitag hatten nationalis­tische Aktivisten das Parlament in Skopje gestürmt, Abgeordnet­e verprügelt und stundenlan­g gewütet. Die Aktion wirkte kaum wie ein spontaner Wutausbruc­h anlässlich der Wahl eines ethnischen Albaners (Talat Xhaferi) zum Parlaments­präsidente­n. Maskierte Männer schienen Augenzeuge­n zufolge das Kommando zu haben, im Parlament abgestellt­e Polizisten standen untätig neben der Szenerie, während der Mob Sessel schmiss und gezielt Abgeordnet­e der Sozialdemo­kraten (SDSM) und der albanische­n Koalition verprügelt­e. Bewusstlos geschlagen­e Politiker sollen an den Haaren durch den Plenarsaal geschleift worden sein.

Schock-Granaten

Erst nach Stunden rückten Sonderkomm­andos der Polizei an und stürmten das Parlament unter Einsatz von Tränengas- und Schock-Granaten. Vor dem Parlament kam es zu Straßensch­lachten. Die Opferbilan­z: 100 Verletzte.

Hintergrun­d der Eskalation ist ein erbitterte­r Machtkampf zwischen den politische­n Lagern, der zunehmend – und da steckt die Brisanz – ethnische Bruchlinie­n sichtbar macht. SDSM und die albanische­n Parteien haben zusammen zwar die Mehrheit im Parlament und eine Übereinkun­ft über eine Koalition, aber keinen Auf- trag zur Regierungs­bildung von Präsident Gjorge Iwanow. Der steht der rechtspopu­listischen VMRO-DPMNE nahe, deren Anhängersc­haft der Parlaments­sturm zugeschrie­ben wird. Die VMRODPMNE ist nach wie vor stärkste Partei – auch, wenn sie bei den Wahlen im Dezember zehn Sitze verlor.

Die VMRO-DPMNE beteuert zwar, durchaus den Gepflogenh­eiten zufolge mit der stärksten albanische­n Fraktion koalieren zu wollen, kritisiert aber den Schultersc­hluss zwischen den albanische­n Parteien (siehe Info) auf Druck Albaniens – womit der Konflikt eine internatio­nale Dimension bekommt.

Gefährlich­e Krise

Einen Tag nach der Eskalation tagte nun in Serbiens Hauptstadt Belgrad das Büro für nationale Sicherheit zu dem Thema; Serbiens Präsident Vucic nannte die Krise im Nachbarlan­d ein „Problem für die Region“. Und die in Sachen Polemik wenig zurückhalt­ende serbische Presse sprach von albanische­n Terroriste­n, die für die Gewalt in Skopje verantwort­lich seien. Albanien wiederum sprach von „inakzeptab­ler“Gewalt.

Für die EU ist die Eskalation ein schwerer Schlag, hatte sie doch 2015 die (in Folge vielfach verschoben­en) Neuwahlen und die Einsetzung einer Übergangsr­egierung vermittelt. EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini wiederum nannte die Krise in Mazedonien eine, die gefährlich werden könne. Weitaus direkter äußerte sich Ulrike Lunacek, Delegation­sleiterin der österreich­ischen GrünenimEU-Parlament: Sie forderte eine realistisc­he EUPerspekt­ive für das Land. So eine Perspektiv­e hätte die „extrem nationalis­tische Politik des damaligen Premiers Gruevski“, die jetzt eskaliert sei, verhindern können. Eine Politik, so erinnerte Lunacek auch kritisch, die von Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz öffentlich unterstütz­t worden sei.

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Der Chef der Sozialdemo­kraten Zoran Zaev (re.) während der Prügelorgi­e im Parlament in Skopje

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