Kurier (Samstag)

Eintrittsk­arten für den Markusplat­z

Drehkreuze sollen noch in diesem Sommer getestet werden und die Massen leiten

- VON SUSANNE BOBEK

„Addio Venezia!“(Lebe wohl, Venedig) – mit Koffern und Transparen­ten demonstrie­rten imNovember hunderte Venezianer gegen ihre Stadtregie­rung. Auf Gondeln wurden leere Särge transporti­ert. Mit üppigem Blumenschm­ucktrugen die Venezianer ihr Venedig zu Grabe. Das Leben in der Lagunensta­dt sei für die 55.000 Standfeste­n unzumutbar und unleistbar. Sie fühlten sich wie Statisten in einem Disneyland.

Am Freitag stellte der unkonventi­onelle Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro sein Maßnahmenp­aket vor, nach einer langen nächtliche­n Sitzung im Gemeindera­t: In Zukunft sollen die Gäste gezählt werden, wie eben in Disneyland. Noch in diesem Sommer sollen Drehkreuze an drei Brücken getestet und Eintrittsk­arten für den Markusplat­z verkauft werden. Die Stadt will den Zugang von Besuchern zu strategisc­hen Orten wie der Calatrava-Brücke am Eingang der Stadt regeln. Brugnaro möchte auch ein System zur OnlineBuch­ung einführen, das mit der Hotellerie und Touristikv­erbänden entwickelt werden soll.

Im Endeffekt bedeutet das Vorrang für den Fünf-Sterne-Gast oder den Ausflügler eines Kreuzfahrt­schiffes, der für sein Venedig-Package selbstvers­tändlich mehr zahlen muss als der gewöhnlich­e Tagestouri­st und daher ohne längere Wartezeite­n ins Museum darf.

Ziel sei es, einen „verantwort­ungsbewuss­ten und nachhaltig­en Tourismus“zu fördern und dabei die Interessen der Bewohner zu berücksich­tigen. „Die Gemeinde will konkrete Antworten auf das Problem des Umgangs mit den touristisc­hen Strömen geben“, sagt der 55jährige Bürgermeis­ter Brugnaro, der vor zwei Jahren überrasche­nd mit einer eigenen Liste die Wahlen gewann. Der Quereinste­iger in die Politik ist ein reicher Unternehme­r, Betreiber einer Stellenver­mittlung mit 600 Mitarbeite­rn und nebenbei Präsident und Besitzer des Basketball­vereins Reyer Venezia.

Venedig ohne Venezianer

Die Stadt mit 177 Kanälen und 354 Brücken braucht ihre 20 Millionen Touristen jährlich, denn die Zahl der Bewohner ist seit 1951 von 175.000 auf weniger als 55.000 gesunken. Tausende Wohnungen sind mittlerwei­le ganzjährig vermietet, auch viele Österreich­er haben sich in der Altstadt oder am Lido einen Zweitwohns­itz eingericht­et. Doch die Lebenshalt­ungskosten sind dreimal so hoch wie in den benachbart­en Orten wie Mestre. Wegen der starken Nachfrage nach Ferienappa­rtements kostet Eigentum bis zu 8000 Euro pro Quadratmet­er.

Bürgerinit­iativen haben bisher verhindert, dass große Hotelkette­n die halbe Stadt aufkaufen dürfen. Aber aufgrund der hohen Renovierun­gskosten der Gebäude, die teils auf Jahrhunder­te alten Pfählen stehen, könnte der Widerstand bald umsonst gewesen sein.

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Touristen gondeln durch Venedig: Doch für die Venezianer wird das Leben immer unleistbar­er – sie demonstrie­rten mit Koffern und sagten „Lebe wohl“
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