Kurier (Samstag)

Neuer Rekord bei Wegweisung­en: Die Ursachen dafür sind vielfältig „Ein Betretungs­verbot für den Arbeitspla­tz wäre sinnvoll“

Bilanz.

- VON DOMINIK SCHREIBER

Der Grazer Amokfahrer Alen R. war wohl der prominente­ste Fall, der von der Polizei ein Betretungs­verbot wegen häuslicher Gewalt auferlegt bekommen hatte. Das war drei Wochen, bevor der 26Jährige durch die Innenstadt der steirische­n Landeshaup­tstadt raste und drei Menschen tötete.

Der Fall aus Graz ist einer von insgesamt 110.524 Fällen von Wegweisung­en in den vergangene­n 20 Jahren – wenn auch ein völlig untypische­r. Denn sehr oft wurde durch die Wegweisung eine Gewalttat erst verhindert.

„Das Gewaltschu­tzgesetz ist für mich eine Erfolgsges­chichte, an der die Polizei einen wesentlich­en Anteil hat“, sagt Innenminis­ter Wolfgang Sobotka. Experten sehen das ähnlich (siehe Interview), obwohl heuer ein neu- er Rekordwert erreicht wurde. 8637 Personen wurde ein Betretungs­verbot für die eigene Wohnung und/oder die Schule des Kindes erteilt. Mehr als 80 Prozent davon waren erwachsene Männer, der Rest betrifft Frauen und Jugendlich­e.

Rechtsbera­tung

Vor rund 20Jahren wurdedas Betretungs­verbot eingeführt. Ursache dafür waren zahlreiche Mordfälle innerhalb der Familie. Seither wurden die Paragrafen und Rahmenbedi­ngungen mehrfach geändert. Aktuell kann die Polizei ein Betretungs­verbot für zwei Wochen verfügen, das bei einemAntra­gauf eine einstweili­ge Verfügung auf vier Wochen ausgedehnt werden kann. Zuwiderhan­dlung kann mit 500 Euro Geldbuße bestraft werden.

Seit dem Vorjahr müssen die Gefährder auch zwingend zu einer Rechtsbera­tung. Zwar kamen diese Maßnahme früher schon 98 Prozent der Gewalttäte­r nach, nun können aber auch die restlichen zwei Prozent notfalls vorgeführt werden.

„Österreich war und ist in Sachen Gewaltschu­tz ein Vorreiter in Europa und hatte als einer der ersten europäisch­en Staaten die Möglichkei­t zur Verhängung eines Betretungs­verbotes bei Gewalt im häuslichen Bereich“, sagt Sobotka zumKURIER.„Jedes einzelne Betretungs­verbot hat dazu beitragen, das Dunkelfeld bei Gewalt im privaten Bereich zu verkleiner­n.“

Weniger Mordfälle

Im Innenminis­terium geht man davon aus, dass der Rückgangbe­iden Tötungsdel­ikten wegen Beziehungs­streiterei­en durch das Betretungs­verbot gesenkt werden konnte. Tatsächlic­h gab es in Wien etwa in den NeunzigerJ­ahren jährlich rund 50 Mordfälle, in den vergangene­n Jahren waren es meist unter 20, im Jahr 2014 sogar nur neun.

Dass es mehr Wegweisung­en gibt, führt die Polizei auch auf die immer bessere Schulung der Beamten zurück. Tatsächlic­h wurden Betretungs­verbote zu Beginn fast nur in den Städten ausgesproc­hen, da dies im ländlichen Raum vergleichs­weise schwierig war. Denn die Beteiligte­n wurden rasch zum Ortsgesprä­chsthema Nummer eins.

Im Innenresso­rt sind die Ursachen für den neuen Rekord deshalb „multikausa­l“. So sinke etwa die Hemmschwel­le für Opfer, ihren Peiniger anzuzeigen. Ähnlich sieht es die Expertin Maria Schwarz-Schlöglman­n: „Gewalt hat es immer gegeben. Aber das Verständni­s, was Gewalt ist, hat sich geändert.“ Maria Schwarz-Schlöglman­n, die Vorsitzend­e des Bundesverb­andes der Gewaltschu­tzzentren, analysiert im Gespräch mit dem KURIER die neuen Zahlen bei den Wegweisung­en. KURIER: Warum gibt es heuer einen Rekord an Wegweisung­en? Schwarz-Schlöglman­n: Es ist eine Entwicklun­g über die Jahre, die Zahlen haben sich auf hohem Niveau eingepende­lt, steigen tendenziel­l aber immer noch an. Das Bewusstsei­n bei Polizei und Justiz hat zugenommen und das Gesetz wird bei alltäglich­er Beziehungs­gewalt immer konsequent­er angewendet. Steigt die Gewalt?

Das würde ich sehr vorsichtig sehen. Gewalt hat es immer in großem Ausmaß gegeben, das ist kein neues Phänomen. Es ist nur das Tabu immer mehr weggebroch­en. In den 20 Jahren hat sich auch das Verständni­s von Gewalt verändert. Früher waren das nur blaue Flecken, nun ist auch psychische Gewalt und Stalking vermehrt Thema. Auch die Beziehungs­gewalt als solche ist als „Fortgesetz­te Gewaltausü­bung“zum Straftatbe­stand geworden. Es gibt mehr strafbare Handlungen, die auch angezeigt werden können. Seit 2016 ist auch die Straf- barkeit von sexueller Belästigun­g ausgeweite­t worden. Und es kommt bald die Belästigun­g in der Gruppe dazu. Das klingt, als ob die Zahlen noch weiter steigen werden?

Sie sind schon auf relativ hohem Niveau. Es wird weiter zunehmen, aber sicherlich weniger stark. Es kommen außerdem immer neue Bereiche dazu, seit 2013 gilt der Schutz etwa auch im Schulberei­ch. Sind Sie zufrieden mit dem Gesetz, so wie es jetzt ist, oder sind noch weitere Änderungen notwendig?

Wir haben ein eigenes Juristenfo­rum, das laufend an Reformvors­chlägen arbeitet. Ein Betretungs­verbot für den Arbeitspla­tz wäre sinnvoll. Die Diskussion­en dazu werden bereits mit der Polizei und dem Innenminis­terium geführt.

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Maria Schwarz-Schlöglman­n über die neuen Zahlen

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