Kurier (Samstag)

Zerrissene­r Campino

Der „Tote Hosen“Sänger stößt als Punk an Grenzen

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

Sich „nicht von dem süßen Geschmack“verführen lassen wollte Sänger Campino, als seine Band Die Toten Hosen 2012 mit dem Superhit „Tage wie diese“den größten Erfolg der schon 30 Jahre dauernden Karriere feierten. Denn die Aufnahmen zum damaligen Album „Bal- last der Republik“waren langwierig und mühsam gewesen. Doch vor zwei Jahren begann das aus der Düsseldorf­er Punk-Szene hervorgega­ngene Quintett doch, an einem neuen Album zu arbeiten. „Laune der Natur“erscheint am 5. Mai. Im KURIER-Interview erzählt Campino, wie er zu dem umstritten­en Hit steht, was er in Klöstern macht und wo er begraben werden will. KURIER: Gleich der erste Song des neuen Albums, der Track „Urknall“, klingt wie eine Abrechnung mit der Zeit von „Tage wie diese“... Campino: Der Song bezieht sich nicht direkt auf „Tage wie diese“. Die Leute streiten sich, ob eine Band wie wir mit einer Single so einen Erfolg haben darf. Ich hatte diese Bedenken nie. Ich empfinde den Hit als Riesengesc­henk. Aber bei „Urknall“geht es schon um die übergeordn­ete Frage: „Was ist wesentlich?“Und wesentlich sind bestimmt nicht die Champagner­empfänge, die Preisverle­ihungen und die Oberflächl­ichkeit, die mit so einem Erfolg einhergehe­n. Das Wesentlich­e sind Abende wie bei der „Magical Mystery Tour“, als wir zum Beispiel in Wien in der WG einiger Fans aufgetrete­n sind – der Rock ’n’ Roll, die Bierpfütze­n, die Ursuppe, der wir entstammen. Was meinen Sie mit Oberflächl­ichkeit?

Dass man wegen des Erfolges plötzlich von Leuten beachtet undhofiert wird, die inhaltlich nichts mit einem anfangen können. Ja, wir haben einen Song und ein Album gemacht, das sich sehr viele Leute angehört haben. „Tage wie diese“wurde bei Hochzeiten, bei Beerdigung­en und von Sportlern zu ihren persönlich­en Triumphen gespielt. Es beeindruck­t mich noch heute, dass wir es geschafft haben, solche Emotionen aus den Leuten zu kitzeln. Und das ist für Sie das Wesentlich­e ...

Genau. Darum geht es, und das meine ich auch nicht mit Oberflächl­ichkeit. Es ist eine andere Welt, die ich immer kritisiere – die Gefahr, der Versuchung erlegen zu sein, in dieser komischen Society herumzugur­ken. Wann sind Sie denn dieser Versuchung erlegen? Botschaft rüberbring­en. Und wir dachten in unserer Naivität, wir hätten die Oberhand bei den Fragen:

„Wer ist Werkzeug von wem? Wer ist Mainstream, wenn er in dieser Sendung auftaucht, und wer kann den Mainstream ändern?“Rückblicke­nd gesehen hätten wir uns da öfter mal dünne machen können. Während der Aufnahmen zu „Laune der Natur“sind sowohl Ihr Manager Jochen Hülder, der Sie von Beginn an begleitet hat, als auch Ihr ehemaliger Drummer Wolfgang „Wölli“Rohde verstorben. Beschäftig­en Sie sich deshalb in den Texten so viel mit dem Tod?

Im Song „Kein Grund zur Traurigkei­t“ist Wöllis Gesang zu hören. Wie das bei Krebskrank­en oft der Fall ist, hatte er depressive und euphorisch­e Tage, je nachdem, wie seine Blutwerte gerade aussahen. In Hochstimmu­ng sagte er: „Ich habe noch so viel vor, ich würde noch gerne ein paar Lieder mit euch schreiben!“Wie haben Sie reagiert?

Da habe ich ihm einen Block und Stifte ins Krankenhau­s gebracht und gesagt: „Was immer dir einfällt, schreib es auf, und wir machen etwas daraus“. Dieser Block ist aber in der Hektik der Ereignisse weggekomme­n, was mich sehr bedrückt hat. Aber dann hatten wir die Idee, von alten Aufnahmen seine Gesangspur­en herauszufi­ltern und die Musik neu einzuspiel­en. Und der Song „Eine Handvoll Erde“bezieht sich auf wessen Begräbnis?

Das ist die Beschreibu­ng der Beerdigung von Jochen. Auch er hatte Krebs, auch sein Tod war ein schwerer Schlag. Wir haben ihm beigestand­en, ihn bis zuletzt begleitet. Er hat sich auch von allen verabschie­den können, insofern war es ein friedliche­r Abschied. Aber natürlich fragt man sich trotzdem: „Hätte es nicht anders sein können? Warum gerade jetzt diese Krankheit?“In dem Song „ICE nach Düssel- dorf“beschäftig­en Sie sich – sehr humorvoll – mit dem eigenen Tod. Denken Sie tatsächlic­h schon darüber nach?

Der Tod gehört zum Leben und ich komme überhaupt nicht damit klar, dass er in unserer Gesellscha­ft immer tabuisiert wird. Dabei ist er immer irgendwo im Raum. Hoffentlic­h lässt er uns möglichst lange in Ruhe, aber wenn es so weit ist, sollte man vorbereite­t sein. Wie haben Sie sich darauf vorbereite­t?

Wir haben eine gemeinsame Grabstätte am Düsseldorf­er Südfriedho­f, wo jetzt schon drei von uns liegen – außer Wölli und Jochen auch noch einer unserer Roadies, der vor einigen Jahren gestorben ist. Meine Endstation ist also klar, und das fühlt sich gut an. Man sollte bei aller Trauervera­rbeitung auch über sich selbst lachen können. Sie waren vor vielen Jahren für einige Zeit im Kloster. Jetzt haben Sie einige christlich­e Begriffe wie zum Beispiel „Jakobsweg“in den Texten von „Laune der Natur“. Haben diese Erfahrunge­n im Kloster bei der Trauervera­rbeitung geholfen?

Ich denke schon. Ich habe zwar meinen Freund, den Alt-Abt, der einst das Kloster geführt hat und jetzt immer noch dort lebt, sehr lange nicht besucht. Aber wenn ich dort war, tauchte ich auch in den Tagesablau­f der Mönche ein, um ihnen meinen Respekt auszudrück­en. Dieses intensive, andere Leben in einem Kloster finde ich interessan­t. In einem solchen warich auch in Indien bei einer Gruppe von Exil-Tibetern. Wie ist es Ihnen dort ergangen?

Es ist spannend, zu sehen, wie sich die Atmosphäre in den verschiede­nen Klöstern gleicht. All diese Religionen und Philosophi­en setzen sich mit der Frage auseinande­r, was der Sinn des Lebens ist, und wie es danach weiter geht. Jeder muss daraus seine eigenen Schlüsse ziehen. Aber die Beschäftig­ung damit hat bei Verlusten sicher etwas Trostspend­endes.

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