Kurier (Samstag)

Arbeitgebe­r und -nehmer

Sepp Schellhorn und Roman Hebenstrei­t im Streitgesp­räch

- VON ROBERT KLEEDORFER

306 Arbeitsins­pektoren achten in Österreich darauf, dass hunderte Bestimmung­en zum Arbeitnehm­erschutz eingehalte­n werden. Bei 68.000 Kontrollen im Vorjahr gab es 1458 Anzeigen. Wirtschaft­streibende kritisiere­n, dass die Kontrollen überschieß­end seien. Konkret entzündet hat sich die Debatte vor einigen Wochen, als eine Betreiberi­n eines Wiener Schönheits­salons die aus ihrer Sicht nicht nachvollzi­ehbaren Kontrollen und Strafen öffentlich machte. KURIER: Herr Hebenstrei­t, haben Sie sich schon einmal in einem Beautysalo­n behandeln lassen? Roman Hebenstrei­t: Nein, nur daran vorbeigega­ngen. Wollen Sie mir eine Behandlung verkaufen? Nein. Würden Sie dort hingehen, würden Sie sich dann gerne in der Auslage vor den Augen aller Passanten im Intimberei­ch behandeln lassen? Hebenstrei­t: Bekannterw­eise war das ja nicht das Problem, es ging ja um andere Themen. Prinzipiel­l ist das Thema Arbeitnehm­erschutz hochsensib­el. Das Gesetz wurde 1995 geschaffen. Davor hatten wir 160.000 Arbeitsunf­älle im Jahr und jetzt sind es 102.000. Damit einhergehe­nd wurden auch Kosten reduziert. Die Unfälle verursache­n den Unternehme­rn noch immer Kosten von 400 Millionen Euro im Jahr und laut AUVA Folgekoste­n von 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Der Arbeitnehm­erschutz ist daher eine Erfolgsges­chichte, weil nicht nur Leid, sondern auch wirtschaft­licher Schaden verhindert oder reduziert wurden. Politiker, die daran jetzt nagen, handeln damit schwer verantwort­ungslos. Herr Schellhorn, Sie gelten ja auch als Nager an diesem Gesetz. Sehen Sie sich als verantwort­ungslos? Sepp Schellhorn: Nein, ich bin nicht verantwort­ungslos. Der Arbeitspla­tz ist ein wichtiger Platz, die Mitarbeite­r müssen sich wohlfühlen. Und ich gebe zu, dass die Unfälle weniger geworden sind, das ist auch wichtig. Aber als Unternehme­r erlebe ich es jährlich, dass ich besucht werde und mit immer neuen Vorschrift­en konfrontie­rt werde. Haben Sie ein Beispiel? Schellhorn: Die Lebensmitt­elpolizei schreibt mir in meinem Hotel für die Kü- chenfenste­r Fliegengit­ter vor. Dem Arbeitsins­pektor ist dann der Arbeitspla­tz zu wenig hell. Das führt zu Absurdität­en, weil die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Der Schutz ist überreizt. So muss ich meiner Putzfrau eine Unterweisu­ng unterschre­iben lassen, dass sie keine Reinigungs­mittel trinken darf. Ich habe einen Mitarbeite­r, der verwendet 72 Tage im Jahr nur für Bürokratie. Das muss dramatisch entlastet werden. Ich fühle mich in meinem freien Unternehme­rtum behindert mit all diesen Auflagen und Vorschrift­en. Und dann gibt es Gewerkscha­ftsmitglie­der im Arbeitsins­pektorat, die sagen, wir können die Unternehme­r hansln, wenn sie uns deppert kommen. Wortwörtli­ch. Das ist die Denke. Hebenstrei­t: Derartiges habe ich sicher noch nie gesagt. Ich möchte aber festhalten, dass die Gesetze im Parlament gemacht werden. Nicht im Arbeitsins­pektorat. Und das ganze Problem ist auch von den Unternehme­n mitverschu­ldet. Sie wollen ständig Ausnahmere­gelungen. Dadurch entsteht ein Konvolut an Regeln, die der Arbeitsins­pektor interpreti­eren muss. Dass der Vizekanzle­r sich über die Regeln, die seine Partei selbst gemacht hat, lustig macht und dann auch noch die Inspektore­n angreift, die diese prüfen müssen, ist eine bodenlose Sauerei. Schellhorn: Der gelernte Österreich­er weiß, dass die Gesetze auf Basis der Sozialpart­nerschaft entstehen, die dann der Regierung sagt, was sie zu tun hat. Und am Ende des Tages bekämpfen sie sich nur mehr, anstatt dass sie gemeinsam Lösungen suchen, wohin es mit Arbeitnehm­erschutz und Servicieru­ng der Unternehme­n geht. Hebenstrei­t: Was ich bei der Waxing-Posse spannend finde, ist, dass jeder weiß, dass es bei der Übernahme eines Unternehme­ns einen Bestandsch­utz für die alte Einrichtun­g gibt. Damit man nicht ständig investiere­n muss. Aber man muss die gültigen Regeln einhalten. Wenn ich als Unternehme­rin diese Basics nicht kenne, muss ich ihre fachliche Qualifikat­ion infrage stellen; und sie muss auch damit rechnen, dass jemand kommt und sagt „Liebe Dame, so geht es nicht“. Was sie lustiger Weise nie erwähnt, ist der Umstand, dass sie vier Gewerbesch­eine benötigt. Aber damit würde sie ihre politische Karriere verhauen. Schellhorn: Da sind wir eh einer Meinung. Ich bin ja auf die Welt gekommen, um die Zwangsmitg­liedschaft zu zerstören. Hebenstrei­t: Wir sind bald die, die die EPUs (Ein-Personen-Unternehme­n, Anm.) mehr unterstütz­en als die Kammer. Schellhorn: Weil ihr Mitglieder braucht. Hebenstrei­t: Weil ich sehe, dass das arbeitnehm­erähnliche Tätigkeite­n sind und

sich die Wirtschaft­skammer nur bedingt um diese Menschen kümmert. Muss ich den EPUs das Leben schwermach­en, in dem ich ihnen die ganze Bürokratie der Kammer umhänge? Schellhorn: Ich bin völlig auf Ihrer Seite, ich danke, dass Sie meine Themen besetzen. Was ich aber bei der Diskussion um den Schönheits­salon nicht verstanden habe ist, dass Sie zu einem Generalrun­dumschlag ausgeholt und alle Unternehme­r, selbst die Wirte, verteufelt haben. Hebenstrei­t: Das habe ich sicher nicht. Das Thema macht mich emotional, weil ich aus dem Verkehrsse­ktor komme, wo es hochgehalt­en wird. Es ist immer noch so, dass es im Vorjahr 106 tödliche Arbeitsunf­älle in Österreich gegeben hat. In Beautysalo­ns ist aber noch niemand zu Tode gekommen. Hebenstrei­t: Der Todesfall ist natürlich das Schlimmste. Ich habe viele Firmen erlebt, die über Jahre Bestimmung­en ignoriert haben, und am Ende des Tages gab es dann tödliche Unfälle. Da werden seit Jahren Gerichtsve­rfahren geführt. Schellhorn: Da widersprec­he ich nicht, mit Todesfälle­n spielt man nicht. Man muss aber auch differenzi­eren. In der industriel­len Produktion wurde vor 30, 40 Jahren zu wenig geschützt, da gab es Fortschrit­te, das ist eine Leistung, aber nicht Unternehme­r drangsalie­ren. Was wäre Ihr Reformansa­tz? Hebenstrei­t: Klarere Regeln, strenge Kontrollen und harte Strafen bei Missachtun­g. Zudem müsste die Zahl der Inspektore­n aufgestock­t werden. Auf Druck der Wirtschaft wurden sie über die Jahre immer weiter reduziert. Somit gibt es kaum noch Spezialist­en. Jetzt müssen sie von Hinz bis Kunz sämtliche Branchen überwachen. Mit einer Aufstockun­g gebe es im Vorfeld eine bessere Beratung. Wo bedarf es noch gemeinsame­r Lösungen? Hebenstrei­t: Der Verteilung­skampf ist mittlerwei­le ein härterer, weil der Druck am Arbeitspla­tz gestiegen ist. Nehmen wir nur das Thema Arbeitszei­tflexibili­sierung. Es geht nicht um Flexibilis­ierung, man will schlichtwe­g die Überstunde­n nicht mehr zahlen. Die geforderte zweijährig­e Durchrechn­ung heißt, es gibt keine Überstunde­n mehr. Schellhorn: Im touristisc­hen Bereich wäre das wichtig, weil die saisonalen Schwankung­en viel größer geworden sind als früher. Bevor wir freisetzen, würden wir gerne die Überstunde­n über das ganze Jahr abbauen. Dies hätte zur Folge, dass die Mitarbeite­r länger in der Branche bleiben und nicht stempeln gehen. Hebenstrei­t: Im Tourismus müssen zu allererst entspreche­nde Arbeitsbed­ingungen geboten werden. Wer würde ruhigen Gewissens seinen Kindern empfehlen in die Tourismusb­ranche zu gehen? Schellhorn: Die Arbeitswel­ten haben sich verändert, die Menschen haben mehr Freizeit. Und am Wochenende will niemand arbeiten. Während der Gewerkscha­fter auch am Wochenende seinen Kaffee serviert bekommen möchte. Hebenstrei­t: Ich komme aus der Bahn, da wird rund um die Uhr gearbeitet, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr. Wer mehr Flexibilis­ierung will, muss auch mehr zahlen. Über diesen Preis weigert man sich aber zu reden. Ihr steht in Konkurrenz zu anderen Branchen, die in vielerlei Hinsicht attraktive­r sind.

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