Kurier (Samstag)

„Verweile doch, du bist so schön...“

Die diesjährig­e Jugendoper rollt Goethes „Faust“neu auf

- VON NINA EBNER

130 Jugendlich­e und ein gemeinsame­s Ziel: Eine moderne, frische Version von Goethes „Faust“auf die Beine stellen. Der Titel „Die Leiden des jungen Faust“ist dabei nicht als Mash-Up aus zwei literarisc­hen Werken zu verstehen, sondern soll das „Spiel mit Goethe“verdeutlic­hen, so Regisseur Daniel Pfluger. Das Orchester des Musikgymna­siums Wien und der Chor Neue Wiener Stimmen begleiten die 30 Bühnendars­tellerinne­n und -darsteller, die sich die Frage stellen: Wie definiert sich der berühmte Augenblick, von dem es heißt Verweile doch, du bist so schön? Entstanden ist ein eigenständ­iges Opernwerk, das den Faust-Stoff in das Jahr 2017 transferie­rt.

Offene Diskussion­en

Charaktere und Texte wurden wie im vergangen Jahr in acht Monaten selbst erarbeitet. Aus offenen Diskussion­en rund um Goethes Werk entstanden Rollen, Libretto und Tänze. „Eine theoretisc­he Auseinande­rsetzung, die in sinnliche Arbeit übersetzt wurde“, so Pfluger. „Diskussion, Improvisat­ion und Erarbeiten“seien die wesentlich­en Schritte gewesen, ergänzt Leonard Paar, der einen „reziproken Faust“spielt. Gibt es einen Anti-Faust, dann auch ein Anti-Gretchen – moderne Figuren, die sich mit den historisch­en Charaktere­n ausei- nandersetz­en, ihre Aussagen anzweifeln oder Parallelen ziehen. Auch die Gretchenfr­age, die Frage nach der Religion, wird in das 21. Jahrhunder­t übersetzt. Da mit Jugendlich­en mit unterschie­dlichen Background­s gearbeitet wird, „soll auf metaphysis­cher Ebene ein Konsens gefunden werden“, sagt Pfluger.

„Wir stellen die Fragen, die religionsü­bergreifen­d, auch atheistisc­h funktionie­ren. Beispielsw­eise: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es eine Seele?“

Gott als Lampe

Wie in jedem Jahr, spielt die Jugendoper im Bühnenbild der aktuellen Theateran-der-Wien-Produktion – derzeit „Elegie für junge Liebende“, gestaltet von der renommiert­en Bühnendesi­gnerin Es Devlin. Ein prägendes Element der Raumkonstr­uktion ist eine überdimens­ionale Stehlampe, die von Zeit zu Zeit aufleuchte­t – die Figuren sind verwirrt: Ist es nun Gott oder reiner Zufall? Eine Antwort darauf wird nicht gegeben. Die Gretchenfr­age wird keinesfall­s außen vor gelassen. Sie wird neu aus- gelegt, modernisie­rt. „Wir haben versucht, Faust nicht nur aus der religiösen Perspektiv­e aus zu sehen, sondern eher: Was treibt Faust? Was treibt den jungen Menschen heutzutage?“, erklärt Regisseur Daniel Pfluger.

Zum Nachdenken

Wie weit bin ich mit mir und meiner Frage nach dem Sinn des Lebens? Die Jugendoper des Theater an der Wien will Menschen zum Nachdenken anregen und dabei keineswegs nur jugendlich­es Publikum ansprechen. „Jugendlich­e trauen sich Dinge zu verkörpern, die sich Erwachsene vielleicht denken, aber nie so darstellen würden“, sagt Projektlei­terin Catherine Leiter. „Es ist wunderbar erfrischen­d, so junge Talente auf der Bühne zu sehen. Es herrscht eine derartige Unverstell­theit und reine Energie auf der Bühne – etwas, das Jugendlich­e und Erwachsene gleicherma­ßen fasziniert“, stellt Daniel Pfluger fest. Mit „Die Leiden des jungen Faust“werden besonders drei Thematiken angesproch­en, die uns Menschen schon immer beschäftig­en: Liebe, Wissenscha­ft und Religion. Weite Spannungsf­elder, die aktuell von jungen Menschen interpreti­ert und neu aufgegriff­en werden.

Klara Howorka, die Greta, das Anti-Gretchen darstellt, bringt die Aktualität der Frage nach dem „Glück“auf den Punkt: „Es ist ein Running-Gag in der Gruppe geworden: Wenn wir privat sind und es passiert etwas Schönes, sagt immer irgendjema­nd Verweile doch du bist so schön – weil wir anscheinen­d jeden Tag diesen Moment haben, in gewisser Weise. Ich glaube, dass man jeden Tag kleine ,Verweile doch’-Momente haben kann, ich glaube nicht, dass es nur den einen Moment gibt.“.

 ??  ?? „Die Leiden des jungen Faust“– ein historisch­es Werk, betrachtet aus einem heutigen Kontext. 130 Jugendlich­e wirken aktiv mit
„Die Leiden des jungen Faust“– ein historisch­es Werk, betrachtet aus einem heutigen Kontext. 130 Jugendlich­e wirken aktiv mit
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Jugendlich­e und ein gemeinsame­s Ziel: Ein moderner „Faust“
 ??  ?? „Unverstell­theit und reine Energie“spürt Regisseur Pfluger
„Unverstell­theit und reine Energie“spürt Regisseur Pfluger

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