Tabitha Goldstaub
„Intelligente Maschinen übernehmen unsere Vorurteile“
KURIER: Der Traum von und die gleichzeitige Furcht vor künstlicher Intelligenz beschäftigt die Menschheit seit Jahrhunderten. Wo stehen wir heute? Tabitha Goldstaub: Es gibt diese Angst vor einer düsteren, dystopischen Zukunft, in der intelligente Maschinen die Menschheit obsolet machen. In der Realität geht es eher um Systeme, die bestimmte Aufgaben intelligent lösen können, seien es selbstfahrende Autos oder Maschinen, die Krebs besser und schneller als Menschen entdecken. Positiv betrachtet: Wenn Maschinen uns Tätigkeiten abnehmen, haben wir mehr Kapazitäten frei, um innovativ zu sein und die großen Probleme wie Klimawandel, Armut und Hunger zu lösen. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen durch künstliche Intelligenz?
Viele ethische Fragen sind ungelöst. Eine Maschine kann künftig auf Basis der Daten, die ihr gefüttert werden, entscheiden, warum jemand keine oder nur eine sehr teure Versicherung bekommt. Hat die Maschine so entschieden, weil ich in einer gefährlichen Straße wohne oder weil ich eine Frau bin? Welche Daten, von denen ich vielleicht gar keine Ahnung habe, sind da eingeflossen? Man könnte argumentieren, dass eine Maschine nüchtern urteilt. Vielleicht erhalte ich ja eine günstigere Versicherung, da mein Bezirk gar nicht so gefährlich wie sein Ruf ist.
Daten können vieles objektivieren. Gleichzeitig übernimmt eine Maschine viele Vorurteile und problematische Annahmen, da sie ja von uns Menschen programmiert wird und aus unserem menschlichen Verhalten lernt. Das bekannteste Beispiel war Microsofts intelligenter Chatbot „Tay“, der auf Twitter selbstständig agierte und aufgrund von Interaktionen mit Hasspostern nach wenigen Stunden homophobe, rassistische und sexistische Antworten formulierte. Sie haben zuletzt kritisiert, dass Frauen in der Entwicklung von künstlicher Intelligenz unterrepräsentiert sind. Inwiefern ist eine männlich geprägte künstliche Intelligenz problematisch, ja gar gefährlich?
Hier geht es um Prozesse, die tatsächlich lebensgefährlich sein können. Ein Beispiel: Männer und Frauen haben völlig andere Symptome bei einem Herzinfarkt. Ein Gerät, das nur Erfahrungen und Daten männlicher Testpersonen verarbeitet und dadurch quasi eine männliche künstliche Intelligenz entwi- ckelt, erkennt im schlimmsten Fall den Herzinfarkt bei einer Frau nicht. Das ist übrigens nicht weit hergeholt. Bei Autounfällen starben unerklärlich viele Frauen, bis man drauf kam, dass die Sicherheitsmaßnahmen anhand von schweren und großen Crashtest-Puppen entwickelt wurden, die Männern nachempfunden waren. Das heißt, die Maschinen der Zukunft sind maximal so intelligent wie ihre Erfinder?
Natürlich kann Technologie dazu führen, dass gewisse Vorurteile enttarnt werden. Aber es läuft immer darauf hinaus: Wie soll eine Maschine besser oder gerechter entscheiden als wir, wenn wir ihr die falschen Dinge beibringen. Im Gegenteil: wenn Googles künstliche Intelligenz Frauen gewisse Job-Angebote gar nicht anzeigt, weil sie sie für ungeeignet hält, dann wird die Ungleichheit sogar noch größer. Das ist ein Problem, das vermutlich nicht nur Frauen betrifft.
Das gilt natürlich auch für andere sozial benachteiligte Schichten, Minderheiten und andere Gruppen, die in der überwiegend männlichen und weißen Technologiebranche unterrepräsentiert sind. Schon jetzt gibt es Gesichtserkennungs-Apps, die bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht funktionieren, weil die Software auf Basis von Testpersonen mit heller Haut entwickelt wurde. Das ist furchtbar. Wie kann man mehr Frauen für eine Karriere in der Technologie-Branche begeistern?
Bis auf einige Ausnahmen wie Sheryl Sandberg oder Marissa Mayer sind Frauen in der Branche kaum sichtbar. Für Frauen ist eine Karriere deshalb einfach schwerer vorstellbar, obwohl viele Mädchen in der Schule in Fächern wie Mathematik und Informatik sogar besser als Buben sind. Es gibt aber einige gute Initiativen, außerdem sind bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ganz andere Fähigkeiten gefragt als bei klassischer Computerwissenschaft. Inwiefern sind die Anforderungen andere?
Natürlich bleiben Mathematik und Statistik wichtig. Damit Maschinen lernen, kreativ zu denken und unvermutete Lösungen zu finden, brauchen wir Philosophen, Psychologen, Linguisten, Künstler und Musiker als Vorbilder. Damit sinkt die Hemmschwelle für Frauen, aber auch für Männer mit technologiefernen Ausbil- dungen und Berufen, in der Technologiebranche tätig zu werden. Wirtschaftsforscher warnen davor, dass die bevorstehende Automatisierung Millionen Arbeitsplätze kosten wird.
Systeme mit künstlicher Intelligenz werden Arbeiten produktiver und effizienter erledigen als Menschen. Die Frage ist daher nicht, ob sie Arbeitsplätze ersetzen werden, sondern wie schnell wir diese umschichten können. Wie können wir Menschen umschulen? Welche neuen Jobs können wir schaffen? Erschwerend kommt dazu, dass diese industrielle Revolution mit enormer Geschwindigkeit auf uns treffen wird. Wie könnten diese neuen Jobs aussehen? Der verstärkte Einsatz von Maschinen für automatisierte Tätigkeiten wird den Faktor Mensch wertvoller machen. Überall dort, wo wir die uns ureigenen menschlichen Fähigkeiten brauchen, sei es in der Krankenpflege oder in der Kinderbetreuung, Anwälte, Psychologen, Philosophen, Journalisten – diese Jobs werden sogar besser bezahlt sein als heute. Das hilft dem Reinigungspersonal oder den Arbeitern in der Fabrik aber wenig.
Auch die Produktion, Erhaltung und Überwachung der Maschinen wird Arbeitskräfte benötigen. Momentan sind in dieser Branche nur Wissenschaftler mit Doktortitel beschäftigt, künftig wird aber jeder mit der Technologie umgehen können – so wie man heute mit wenigen Klicks und ohne viel Vorwissen selber eine Webseite basteln kann, was vor 20 Jahren noch unmöglich war. Aber es wird auch neue Möglichkeiten geben, etwa kleinräumig Nahrungsmittel anzubauen, oder Robotern gute Manieren beizubringen.
„Intelligente Maschinen übernehmen die Vorurteile von uns Menschen“Tabitha Goldstaub Unternehmerin