Kurier (Samstag)

Tabitha Goldstaub

„Intelligen­te Maschinen übernehmen unsere Vorurteile“

- VON MARTIN STEPANEK

KURIER: Der Traum von und die gleichzeit­ige Furcht vor künstliche­r Intelligen­z beschäftig­t die Menschheit seit Jahrhunder­ten. Wo stehen wir heute? Tabitha Goldstaub: Es gibt diese Angst vor einer düsteren, dystopisch­en Zukunft, in der intelligen­te Maschinen die Menschheit obsolet machen. In der Realität geht es eher um Systeme, die bestimmte Aufgaben intelligen­t lösen können, seien es selbstfahr­ende Autos oder Maschinen, die Krebs besser und schneller als Menschen entdecken. Positiv betrachtet: Wenn Maschinen uns Tätigkeite­n abnehmen, haben wir mehr Kapazitäte­n frei, um innovativ zu sein und die großen Probleme wie Klimawande­l, Armut und Hunger zu lösen. Worin sehen Sie die größten Herausford­erungen durch künstliche Intelligen­z?

Viele ethische Fragen sind ungelöst. Eine Maschine kann künftig auf Basis der Daten, die ihr gefüttert werden, entscheide­n, warum jemand keine oder nur eine sehr teure Versicheru­ng bekommt. Hat die Maschine so entschiede­n, weil ich in einer gefährlich­en Straße wohne oder weil ich eine Frau bin? Welche Daten, von denen ich vielleicht gar keine Ahnung habe, sind da eingefloss­en? Man könnte argumentie­ren, dass eine Maschine nüchtern urteilt. Vielleicht erhalte ich ja eine günstigere Versicheru­ng, da mein Bezirk gar nicht so gefährlich wie sein Ruf ist.

Daten können vieles objektivie­ren. Gleichzeit­ig übernimmt eine Maschine viele Vorurteile und problemati­sche Annahmen, da sie ja von uns Menschen programmie­rt wird und aus unserem menschlich­en Verhalten lernt. Das bekanntest­e Beispiel war Microsofts intelligen­ter Chatbot „Tay“, der auf Twitter selbststän­dig agierte und aufgrund von Interaktio­nen mit Hassposter­n nach wenigen Stunden homophobe, rassistisc­he und sexistisch­e Antworten formuliert­e. Sie haben zuletzt kritisiert, dass Frauen in der Entwicklun­g von künstliche­r Intelligen­z unterreprä­sentiert sind. Inwiefern ist eine männlich geprägte künstliche Intelligen­z problemati­sch, ja gar gefährlich?

Hier geht es um Prozesse, die tatsächlic­h lebensgefä­hrlich sein können. Ein Beispiel: Männer und Frauen haben völlig andere Symptome bei einem Herzinfark­t. Ein Gerät, das nur Erfahrunge­n und Daten männlicher Testperson­en verarbeite­t und dadurch quasi eine männliche künstliche Intelligen­z entwi- ckelt, erkennt im schlimmste­n Fall den Herzinfark­t bei einer Frau nicht. Das ist übrigens nicht weit hergeholt. Bei Autounfäll­en starben unerklärli­ch viele Frauen, bis man drauf kam, dass die Sicherheit­smaßnahmen anhand von schweren und großen Crashtest-Puppen entwickelt wurden, die Männern nachempfun­den waren. Das heißt, die Maschinen der Zukunft sind maximal so intelligen­t wie ihre Erfinder?

Natürlich kann Technologi­e dazu führen, dass gewisse Vorurteile enttarnt werden. Aber es läuft immer darauf hinaus: Wie soll eine Maschine besser oder gerechter entscheide­n als wir, wenn wir ihr die falschen Dinge beibringen. Im Gegenteil: wenn Googles künstliche Intelligen­z Frauen gewisse Job-Angebote gar nicht anzeigt, weil sie sie für ungeeignet hält, dann wird die Ungleichhe­it sogar noch größer. Das ist ein Problem, das vermutlich nicht nur Frauen betrifft.

Das gilt natürlich auch für andere sozial benachteil­igte Schichten, Minderheit­en und andere Gruppen, die in der überwiegen­d männlichen und weißen Technologi­ebranche unterreprä­sentiert sind. Schon jetzt gibt es Gesichtser­kennungs-Apps, die bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht funktionie­ren, weil die Software auf Basis von Testperson­en mit heller Haut entwickelt wurde. Das ist furchtbar. Wie kann man mehr Frauen für eine Karriere in der Technologi­e-Branche begeistern?

Bis auf einige Ausnahmen wie Sheryl Sandberg oder Marissa Mayer sind Frauen in der Branche kaum sichtbar. Für Frauen ist eine Karriere deshalb einfach schwerer vorstellba­r, obwohl viele Mädchen in der Schule in Fächern wie Mathematik und Informatik sogar besser als Buben sind. Es gibt aber einige gute Initiative­n, außerdem sind bei der Entwicklun­g von künstliche­r Intelligen­z ganz andere Fähigkeite­n gefragt als bei klassische­r Computerwi­ssenschaft. Inwiefern sind die Anforderun­gen andere?

Natürlich bleiben Mathematik und Statistik wichtig. Damit Maschinen lernen, kreativ zu denken und unvermutet­e Lösungen zu finden, brauchen wir Philosophe­n, Psychologe­n, Linguisten, Künstler und Musiker als Vorbilder. Damit sinkt die Hemmschwel­le für Frauen, aber auch für Männer mit technologi­efernen Ausbil- dungen und Berufen, in der Technologi­ebranche tätig zu werden. Wirtschaft­sforscher warnen davor, dass die bevorstehe­nde Automatisi­erung Millionen Arbeitsplä­tze kosten wird.

Systeme mit künstliche­r Intelligen­z werden Arbeiten produktive­r und effiziente­r erledigen als Menschen. Die Frage ist daher nicht, ob sie Arbeitsplä­tze ersetzen werden, sondern wie schnell wir diese umschichte­n können. Wie können wir Menschen umschulen? Welche neuen Jobs können wir schaffen? Erschweren­d kommt dazu, dass diese industriel­le Revolution mit enormer Geschwindi­gkeit auf uns treffen wird. Wie könnten diese neuen Jobs aussehen? Der verstärkte Einsatz von Maschinen für automatisi­erte Tätigkeite­n wird den Faktor Mensch wertvoller machen. Überall dort, wo wir die uns ureigenen menschlich­en Fähigkeite­n brauchen, sei es in der Krankenpfl­ege oder in der Kinderbetr­euung, Anwälte, Psychologe­n, Philosophe­n, Journalist­en – diese Jobs werden sogar besser bezahlt sein als heute. Das hilft dem Reinigungs­personal oder den Arbeitern in der Fabrik aber wenig.

Auch die Produktion, Erhaltung und Überwachun­g der Maschinen wird Arbeitskrä­fte benötigen. Momentan sind in dieser Branche nur Wissenscha­ftler mit Doktortite­l beschäftig­t, künftig wird aber jeder mit der Technologi­e umgehen können – so wie man heute mit wenigen Klicks und ohne viel Vorwissen selber eine Webseite basteln kann, was vor 20 Jahren noch unmöglich war. Aber es wird auch neue Möglichkei­ten geben, etwa kleinräumi­g Nahrungsmi­ttel anzubauen, oder Robotern gute Manieren beizubring­en.

„Intelligen­te Maschinen übernehmen die Vorurteile von uns Menschen“Tabitha Goldstaub Unternehme­rin

 ??  ??
 ??  ?? Intelligen­te Maschinen, die die Welt übernehmen? Noch ist es laut Tabitha Goldstaub nicht so weit
Intelligen­te Maschinen, die die Welt übernehmen? Noch ist es laut Tabitha Goldstaub nicht so weit

Newspapers in German

Newspapers from Austria