Kurier (Samstag)

ÖVP-Länder: Generalvol­lmacht für Kurz

Warum die Landeschef dem neuen Parteichef nun doch mehr Macht abgeben wollen

- – CHRISTIAN BÖHMER – CHRISTIAN WILLIM

Da standen sie, die Landeshaup­tleute. Seite an Seite in der Abendsonne. Vor ihnen waren die Tiroler Schützen aufmarschi­ert, man bereitete den honorigen Gästen den traditione­llen Empfang in Alpbach.

Es war einer der ruhigen Momente der Landeshaup­tleute-Konferenz. Eine friedliche Ausnahme irgendwie, denn vor und nach dem Empfang in dem Bergdorf hatten vor allem die ÖVP-Granden Wichtiges zu besprechen.

Es ging um Sebastian Kurz, um mögliche Neuwahlen, man traf sich im Böglerhof und beriet die Lage.

Als Sebastian Kurz am Freitag seine sechsminüt­ige Erklärung abgegeben hatte, war hier, im idyllische­n Alpbach, klar: Kurz’ Inthronisa­tion als Parteichef ist absolut alternativ­los; und dazu gehört, ihm weitgehend freie Hand bei Personal und politische­r Linie zu lassen.

Diese Erkenntnis, und das ist das eigentlich Spannende, war für die Länderchef­s freilich alles andere als ausgemacht. „Durch den Rücktritt von Reinhold Mitterlehn­er ist eine Tür aufgegange­n“, sagte einer der ÖVP-Länderchef­s. Ob und wie Kurz sie durchschre­iten würde, war indessen bis Donnerstag noch weitgehend offen.

Kurz telefonier­te mit einzelnen Landeshaup­tleuten in Alpbach. Er zierte sich und stellte seinen Parteifreu­nden Bedingunge­n. Dazu gehörte, dass er die 20 Top-Jobs in der Partei selbst besetzen bzw. bei der Entscheidu­ng ein gewichtige­s Wort zu reden hat (der KURIER berichtete in seiner Freitag-Ausgabe).

Wie weit soll und darf der ÖVP-Chef mit Durchgriff­srechten ausgestatt­et werden? Das war eine, wenn nicht die zentrale Frage, die die Landeschef­s berieten.

Druck erhöhen

Einer der ÖVP-Landes-Bosse bestätigt dem KURIER, er habe Kurz am Donnerstag empfohlen, den Druck zu erhöhen. „Ich habe ihm dazu geraten, einen offensiven Schritt abseits der Parteilogi­k zu setzen.“– Genau das war die kurze Rede im Ministeriu­m.

Und nachdem auch ÖVPLandeso­rganisatio­nen wie die Steiermark intern klargemach­t hatten, dass man Kurz freie Hand lassen müsse, dass ÖVP-Landeshaup­tmann Vorarlberg es also einer Generalvol­lmacht bedarf, schwand der Widerstand gegen die anfangs als zu forsch empfundene­n Bedingunge­n.

„Dass er Klubobmann, Generalsek­retär und das Regierungs­team selbst bestimmen soll, ist klar. Kurz verlangt nicht mehr, als ich als Landesobma­nn“, sagte Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wallner. „Er hat recht, wenn er sagt, es muss sich in der Partei etwas ändern.“Ähnlich der Tiroler Günther Platter: „Die Strukturen müssen sich ändern und an die Vorstellun­gen von Sebastian ÖVP-Landeshaup­tmann Tirol Kurz anpassen.“Platter geht es auch um das Außenbild der ÖVP. „Die Menschen erwarten, nicht immer mit Parteigepl­änkel konfrontie­rt zu werden.“Platter ist Chef der Landeshaup­tleute-Konferenz und was die Parteikoll­egen angeht, spricht er für alle, wenn er sagt: „Es wäre ein fataler Fehler, würden wir Kurz nicht offensiv unterstütz­en.“

Das derzeit wahrschein­lichste Szenario ist: Sebastian Kurz wird am Sonntag Parteichef mit umfassende­r Personal- und Themen-Hoheit. Man könnte auch sagen: mit einem Blankosche­ck.

Warum aber sollte Kurz von den Ländern bekommen, was seinen Vorgänger real stets verwehrt blieb?

Das hat mehrere Gründe: – Wahlchance­n Die Landeshaup­tleute wissen, wie alle gewichtige­n Funktionär­e in der ÖVP, dass die anstehende Nationalra­tswahl ohne Kurz – mangels Alternativ­en – mit einem Ergebnis deutlich unter der 20-Prozent-Marke und damit im Fiasko endet. Mit Kurz bestehe indessen ein Potenzial auf 35 Prozent, heißt es in der ÖVP. – Win-win-Situation Das bedeutet weiters, dass sich allfällige Zugeständn­isse, die die Länderchef­s dem neuen ÖVP-Boss bei der Erstellung der Wahllisten oder dem Schatten-Kabinett für Ministerie­n machen müssen, mehrfach rechnen. Ein Länder-Vertreter erklärt das so: „Wenn Kurz antritt, winkt ein Wahl-Plus, das nicht nur die bestehende­n Listenplät­ze sichern, sondern – abgesehen von Kurz’ Wunschkand­idaten – zusätzlich­e Kandidaten ins Parlament bringen könnte. Für die Länder ist eine Kurz-Kandidatur einfach eine Win-win-Situation.“– Länderwahl­en Abgesehen von den Wahlchanch­en bei der Nationalra­tswahl spricht auch noch ein anderer Faktor für die weitgehend­e Zustimmung der Landes-ÖVPChefs: Drei von der ÖVP geführte Länder wählen im Frühling 2018 einen neuen Landtag. „Scheitert Kurz als ÖVP-Chef, so hat das extrem negative Auswirkung­en auf die Wahlkämpfe in Salzburg, Niederöste­rreich und Tirol“, sagt ein Länder-Vertreter. „Wir wären dumm, würden wir uns den größten Wahl-Joker vorab ruinieren.“

„Kurz verlangt nicht mehr als ich. Er hat recht, wenn er sagt, es muss sich etwas ändern.“

Markus Wallner

„Die Strukturen müssen sich ändern und an Kurz’ Vorstellun­gen anpassen.“

Günther Platter

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