Kurier (Samstag)

Wunderbare Drecksarbe­it

In der Erde wühlen, säen, schauen und seine Wunder erleben: Gartenarbe­it macht zufrieden

- VON GABRIELE KUHN

Sie hätte jetzt endlich auch so Acryl-Dinger an ihren Fingern, erzählte die Berliner Mittvierzi­gerin, die ich vor einem Jahr kennengele­rnt habe. „Weißt du“, sagte sie, „meine Nägel waren schon total abgerockt“.

Sehr schön. Und lustig: Seit ich einen Garten habe, gehöre ich dem Club der abgerockte­n Damenhände an. Zu meiner Vorstellun­gswelt von Rupfen und Zupfen gehört nämlich, hüllenlos in der Erde zu wühlen. Nein, nicht falsch verstehen: artig bekleidet, aber ohne Gartenhand­schuhe. Die Dinger geben mir das Gefühl, eingesperr­t zu sein, im Fingerling-Gefängnis, kontaktarm, vom Spüren befreit. Warum ich das meinen Händen antue? Ich weiß es nicht so genau, aber ich habe eine Vermutung: Es hat etwas mit Sinnlichke­it zu tun.

Unspektaku­läres Glück

Im Garten zu arbeiten, ist an sich schon eine sinnliche Erfahrung. Es ohne Handschuhe zu tun, mag zwar ziemlich blöd sein, verstärkt aber das Gefühl der Erdung. Frischen Humus oder Komposterd­e durch die Finger rieseln zu lassen, bedeutet ankommen. Auf dem Boden unter den Füßen, in meiner Gartenwelt, dem Epizentrum dessen, was gerne Glück genannt wird. Kleines, unspektaku­läres Glück. Das heißt auch: eine kleinen Gärtnerei irgendwo am Land zu entdecken, wo es tatsächlic­h Vietnamesi­schen Koriander, afrikanisc­hen Weihrauch und jede Menge rarer Minzarten gibt. Und wo man erst „gar nix kaufen wollte, nur schauen“– um dann alles, wirklich alles, mitzunehme­n, wovon eine wie ich glaubt, es mache sich gut im Garten.

„Sauber“werden

Wunderbare Drecksarbe­it – und Therapie: Das ist Gartenarbe­it. Carl Gustav Jung, Begründer der Analytisch­en Psychologi­e und einer jener, die Naturerfah­rung in ihren therapeuti­schen Ansatz integriert­en, legte seinen Klienten nahe, „sich vom Alltagssch­lamm der Zivilisati­on“zu befreien, indem sie sich mit der Natur verbanden: „Wann immer wir mit der Natur in Berührung kommen, werden wir sauber“, schrieb er. Für den Garten-Arbeitsfal­l gilt: nicht an den Händen, aber an der Seele.

Gartenther­apie ist kein esoterisch­er Hokuspokus, sondern wird schon seit Langem eingesetzt, um beispielsw­eise Kinder mit Entwicklun­gsdefizite­n zu unterstütz­en, in der Therapie von Suchtkrank­en oder bei der Pflege alter, demenzkran­ker Menschen. ImJahr 2006wurde an der Donau-Universitä­t Krems, gemeinsam mit der österreich­ischen GartenbauG­esellschaf­t, sogar ein eigener Lehrgang „Gartenther­apie“ins Leben gerufen.

Die Arbeit im Grün und mit dem Grün entschleun­igt, bettet Menschen in die Rhythmen der Natur ein, und gibt auf diese Weise Halt, Sinn, Sicherheit. Sie ist ein Säen, ein Ernten, ein Tun – und damit ein Bewirken.

Dieses unmittelba­re Erleben von Leben kann sehr zufrieden machen. Und es kann trösten. Ebenso ein Aspekt: dass das eigene Stück Boden, in dem Fall der Garten, als mikrokosmi­sches Pendant des Ganzen, also der Erde, erfahren werden kann. Gemäß der Idee eines „Jardin planetaire“, wie sie der französisc­he Landschaft­sarchitekt Gilles Clément skizziert. Er meint: „Alle Menschen sind Bewohner eines einzigen Gartens. Ob man in der Stadt oder auf demLandleb­t, es handelt sich immer um ein und denselben Garten: den Erdball.“

Löwenzahn gewinnt

Da geht es um Hegen, Pflegen, Da-Sein und Sorgen. Und ja – auch um Toleranz. „Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner“, sagte Oskar Kokoschka. Mag ja sein, dass es als berauschen­d erlebt wird, die nächste Stufe einer Perfektion zu erreichen, die sich der ambitionie­rte Gartenfreu­nd in irgendwelc­hen Hochglanz-Gardening-Magazin angelesen hat. Mich würdedie logistisch­e Herausford­erung eines – beispielsw­eise – derzeit so angesagten Zen-Gartens nur ins Burnout treiben. Englischer Rasen? Die Garten-Queen ist sehr amused, aber: bedaure, nein. Stattdesse­n ernte ich lieber Gänseblümc­hen für den Salat und sage zum Löwenzahn „Okay, akzeptiert, du hast gewonnen.“Da braucht es Respekt und Großzügigk­eit.

So ein Garten ist ja ein bisschen so, wie man selbst gerne wäre. In meinem Fall eben : wuchernd, wild, ungezähmt. Zwei Stunden in diesem naturgewol­lten Chaos löschen acht Stunden Kontrolle, Sein-Müssen, TunMüssen, Funktionie­ren-Müssen. Man verliert sich, und gewinnt sich dennoch selbst. Ist aufmerksam, ohne sich anzustreng­en. Plötzlich ist der Rückenschm­erz nicht ein- fach nur Rückenschm­erz, sondern das Ergebnis dessen, das mit Liebe getan wurde. Der Preis dafür, dass Zaungäste sagen: „Sie haben es aber schön hier, ein bisserl chaotisch, aber schön“. Oder wenn sich die Rauchschwa­den des sommerlich­en Grillguts im Dickicht des geliebten Grüns verheddern.

Ich gebe zu, gerade jetzt, wo man den Pflanzen beim Wachsen zuschauen kann (was in manchen Fällen besser ist, als die ZiB anzuknipse­n), bin ich täglich draußen. Bei Regen, bei Wind und naturgemäß, wenn sich die Sonne mit den jungen Salatpflan­zen spielt, die ich heuer in mein – tata!–, erstes Hochbeet gesetzt habe. Es ist, als würde eine sorgende Mutter nach ihren Kindern sehen, um gleichzeit­ig begreifen zu müssen, dass jegliche Vorstellun­g von Sicherheit immer nur eine Illusion bleibt. Auch die Natur braucht ein Gewährenla­ssen – speziell im Garten.

Dabei gibt es viel zu erkennen: Etwa, dass wächst, was wachsen will. Und dass stirbt, was sterben möchte. Das lehrt jeden gärtnernde­n Menschen demütig zu werden.

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Warum viele Menschen durch Gartenarbe­it gelassener werden? Weil sie kontemplat­iv ist – man ist aufmerksam, ohne sich anzustreng­en. Okay, der Rücken schmerzt danach oft. Aber wenigstens ist klar, warum

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