Kurier (Samstag)

Ein Gigant der Kulturkrit­ik: Joachim Kaiser (1928–2017)

- – W. ROSENBERGE­R

Nachruf. Seine Passion für die klassische Musik galt vor allem den Pianisten und den großen Komponiste­n des 18. und 19. Jahrhunder­ts: Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner und Wagner. „Aber meine Ohren sind nicht für alles geschaffen, was tönt“, sagte er einmal.

Im Theater waren William Shakespear­e und Samuel Beckett seine Favoriten.

Als einer der letzten Universalg­ebildeten war Joachim Kaiser, 1928 als Sohn eines Landarztes in Ostpreußen geboren, über mehr als sechs Jahrzehnte eine Instanz in der Musikkriti­k – und viel mehr als das: Dass er auch ein bedeutende­r Literatur- und Theaterkri­tiker war, hatte man in seinen späten Jahren oft schon vergessen.

Er war überzeugt: „Nur wer liebt, darf kritisiere­n.“

Mit seiner Leidenscha­ft für Musik und Literatur hat er vor allem das Feuilleton der Süddeutsch­en Zeitung geprägt, für die er „Der Welterklär­er“war. Und der er als Autor verbunden blieb, nachdem er die Ressortlei­tung 1977 aufgegeben und f lapsig erklärt hatte: „Es ist mir eigentlich egal, wer unter mir Feuilleton­Chef ist.“Er selbst sah sich als „der letzte Mohikaner“seiner Zunft. So betitelte er auch seine 2008 bei Ullstein erschienen­en Lebenserin­nerungen. Sie sind ein Streifzug durch die Welt der schönen Künste. Leidenscha­ftlich, beeindruck­end und unterhalts­am.

Kaisers Credo: „Die Kunst kann den Horizont erweitern und auch sensibel machen. Und man hat dadurch vielleicht auch mehr Fähigkeite­n, den Reichtum an Glück und Empfindsam­keiten aufzunehme­n.“

Für ihn war die Kunst nicht Luxus, sondern was sie für jeden sein sollte: ein Akku, um die Seele wieder aufzuladen.

Am Mittwoch ist Joachim Kaiser 88-jährig in München gestorben.

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