Kurier (Samstag)

Politische und echte Themen: zwei Welten

- MARTINA SALOMON

Eurofighte­r-Ausschuss, Bildungsre­form, Beschäftig­ungsbonus. Darüber diskutiert das Land, pardon: die Politik. Den Bürgern bereiten ganz andere Themen Sorgen. Migration zum Beispiel. Oder Pflege. Es ist ein Skandal, wie schnell eine Kritik der Volksanwal­tschaft über Missstände in Heimen verpufft ist. Und auch einen offenen Brief von Elternvere­inen an die Regierende­n vom Donnerstag sollte man ernst nehmen: Der Anteil der 15-Jährigen mit Migrations­hintergrun­d sei im letzten Jahrzehnt in Österreich um über 50 Prozent gestiegen, heißt es darin. Doch man habe die Schulen mit den Integratio­nsaufgaben weitestgeh­end alleingela­ssen.

Unerklärli­cherweise sollen sogar Sonderschu­len aufgelöst werden. Wenn aber „Inklusion“zum ideologisc­hen Dogma ohne Bezug zur Wirklichke­it wird, hilft das weder den betroffene­n Kindern, noch dem Rest der Klasse – oder nur mit unleistbar großem Personalei­nsatz.

In beiden Problemfel­dern steckt riesiger Zündstoff für die Zukunft. Ja, die jetzt mühseligst verhandelt­e Schulauton­omie ist sicher ein Fortschrit­t, aber kein Rezept dafür, allen Schüler wieder Lesen, Schreiben und Rechnen beizubring­en. Ein ernsthafte­s Rezept fehlt auch, wenn es um die menschenwü­rdige Behandlung alter Menschen geht. Die Zahl Hochbetagt­er steigt stark. Doch schon jetzt kracht die Finanzieru­ng des Pflegesyst­ems, was eine der Ursachen der aufgedeckt­en Missstände ist. Sowohl bei Kindern als auch bei Alten muss der Staat vieles übernehmen, was die Familien nicht mehr schaffen. Beim Kindergart­en funktionie­rt das immer besser. Aber nur dort. Daher flüchten jene, die es sich leisten können – speziell in Wien – aus den öffentlich­en Systemen (Schule, Pflege, Medizin) und greifen dafür oft tief in die Tasche. Womit die soziale Schere weiter aufgeht, die die Politik speziell bei der Schule immer bekämpfen will.

Hundertpro­zentige Erbschafts­steuer

In der Pflege schlummert außerdem ein Problem, das weder der selbst ernannten Gerechtigk­eitspartei SPÖ noch der Anti-Vermögenss­teuer-Kämpferin ÖVP passen kann: eine Erbschafts­steuer bis zu 100 Prozent. Wenn jemand im Heim landet, greift der Staat nämlich nicht nur auf die Pension, sondern auch auf den Besitz des Pflegenden zu. Zugespitzt formuliert bedeutet das: Wer vorher alles verprasst oder verschenkt hat, dem zahlt der Staat alles. Ein sehr seltsames „Anreizsyst­em“. Aber eigentlich recht typisch für unser Land. Den Koalitions­parteien ist zumindest dieser Punkt bewusst, Kanzler Christian Kern hat sogar die Abschaffun­g des Eigenregre­sses vorgeschla­gen. Aber das wirft heikle und unpopuläre Fragen der Gegenfinan­zierung auf (Erbschafts­steuer, Bremse bei den im internatio­nalen Vergleich überdimens­ionierten Pensionsau­sgaben, Sparen bei der Mindestsic­herung?). Da ist es doch viel einfacher, jahrelang ergebnislo­s um die Eurofighte­r zu kreisen, um noch ein bisschen vermutete schwarz-blau-rote Dreckwäsch­e waschen zu können. eMail an: martina salomon

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Die Kluft zwischen diskutiert­en und gefühlten Problemen wird größer. Reden wir über Migration und Pflege.
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