Kurier (Samstag)

„Nationalis­tische Dynamiken“

Brisante Gemengelag­e in Krisenregi­on ist heute Thema einer internatio­nalen Konferenz in Slowenien

- VON ARMIN ARBEITER

„Vieles, fast alles haben wir gemeinsam auf dem Westbalkan zerstört. Es ist an der Zeit, wieder aufzubauen“, sagte der neue serbische Präsident Aleksandar Vucic am Mittwoch bei seiner Angelobung. Eine erste Möglichkei­t bekommt er beim heutigen Westbalkan-Gipfel im slowenisch­en Brdo. Daran werden neben ihm die Präsidente­n Montenegro­s, des Kosovo, Mazedonien­s, Albaniens sowie voraussich­tlich alle drei Mitglieder des Staatspräs­idiums Bosniens teilnehmen.

Die Lage ist ernst auf dem Westbalkan – scharfe, nationalis­tische Töne zwischen den Staaten, Korruption, steigender Einfluss von autokratis­chen Mächten: Für den Balkan-Spezialist­en Vedran Dzihic vom Österreich­ischen Institut für internatio­nale Politik liegt ein Teil der Schuld bei der EU. „Durch die schleppend­e Arbeit der EU ist es zu einem Vakuum in der Region gekommen, wodurch nationalis­tische Dynamiken entstanden sind.“

Bei der serbischen Präsidents­chaftswahl am 2. April erhielt Vucic 55 Prozent der Stimmen, auf Platz zwei landete Saša Janković mit nur 16 Prozent. „Vucic kontrol- liert die Medien, ein großer Teil der Berichters­tattung drehte sich um ihn. Damit hat er sich quasi eine Allmacht geschaffen. Vor allem punktet Vucic mit nationalis- tischen Tönen gegen den Kosovo und Mazedonien“, sagt Dzihic. Seiner Ansicht nach besteht kurzfristi­g keine Chance, dass sich in Serbien etwas ändern könnte. Vor al- lem die zunehmende EUfeindlic­he Stimmung im Land sei ein Problem.

Für Veränderun­g will die neue Regierung von Mazedonien sorgen – zwar hatte der langjährig­e Premier Nikola Gruevski die Parlaments­wahlen im Dezember 2016 gewonnen, er konnte aber keine Regierungs­mehrheit finden. Stattdesse­n schmiedete der Sozialdemo­krat Zoran Zaev ein Bündnis mit albanische­n Kleinparte­ien, ohne aber einen Auftrag zur Regierungs­bildung von Präsident Gjorge Iwanow (ein Gruevski-Gefolgsman­n) zu haben.

Gruevski mobilisier­te die Nationalis­ten, indem er antialbani­sche Stimmung verbreitet­e. Ein Viertel der Bevölkerun­g Mazedonien­s besteht aus Albanern. Die Krise eskalierte, als am 27. April Nationalis­ten das Parlament stürmten – gegen sie wird ermittelt. Auch gegen Gruevski laufen bereits Ermittlung­en – er soll in seiner Amtszeit illegale Parteifina­nzierungen in der Höhe von 4,9 Millionen Euro verantwort­et haben.

Neuwahlen

Der Kosovo wählt am11. Juni ein neues Parlament – die Regierung wurde durch einen Misstrauen­santrag abgewählt. Immer wieder kam es im Parlament zu Trängengas­Attacken. Kürzlich kritisiert­e der kosovarisc­he Präsident Thaci die Westbalkan-Politik der EU. Vor allem dem österreich­ischen EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn warf er vor, „in Südosteuro­pa leider nicht präsent“zu sein.

Zuvor hatte Thaci mit dem albanische­n Premier Edi Rama über ein „Großalbani­en“gesprochen und damit bei Serben und Mazedonier­n für Entsetzen gesorgt. Allerdings relativier­te er dies mit den Worten: „Der Kosovo ist der Kosovo, Albanien ist Albanien. Wir wollen keine Grenzänder­ungen.“Zugleich aber plant der Kosovo die Aufstellun­g einer Armee, wogegen Serbien Sturm läuft.

Späte Einigung

Eine politische Krise konnte vor zwei Wochen ansatzweis­e in Albanien beendet werden: Die stärkste Opposition­spartei hatte über Monate die Regierungs­arbeit blockiert, wollte nicht einmal zur kommenden Wahl antreten. Sie warf Premier Edi Rama vor, die Wahl zu fälschen undin die Organisier­te Kriminalit­ät verstrickt zu sein, was dieser wieder der Opposition vorwarf. Erst unter Vermittlun­g von EU-Politiker David McAllister konnten sich beide auf den Wahltermin am 25. Juni einigen.

Geteiltes Land

Seit seiner Gründung quasi geteilt ist Bosnien und Herzegovin­a – die serbisch dominierte „Republika Srpska“ steht im Konflikt mit den bosnischen Gebieten. Die Wunden aus den Balkankrie­gen sind noch nicht verheilt. Im Land herrschen Stillstand, Korruption und Chaos. „Eine Frage nach der Zukunft Bosniens ist wie ein Blick in die Kristallku­gel – niemand unterstütz­t eine Aufteilung des Landes, denn das würde zu noch mehr Problemen führen“, sagt Experte Dzihic.

Neue Spannungen

Montenegro wird das 29. Mitglied der NATO – für Russland und Serbien ein schwerer Schlag, da beide Länder einen großen Einfluss auf den Kleinstaat hatten und haben. Die Hälfte der Bevölkerun­g versteht sich als serbisch und protestier­t gegen den NATO-Beitritt, doch die Regierung bleibt davon unbeeindru­ckt. Als Reaktion auf russische Einreiseve­rbote verhängte sie ebenfalls Sperren für hochrangig­e Vertreter Russlands – die diplomatis­chen Verstimmun­gen nehmen zu.

Inmitten des Chaos’ auf dem Westbalkan fassen Länder wie China, die Türkei oder auch Saudi-Arabien Fuß in der Region. Während China gigantisch­e Investitio­nen in allen Staaten vornimmt, bauen die Türkei und Saudi-Arabien neue Moscheen und Koranschul­en in muslimisch dominierte­n Gebieten. „Gepaart mit den mangelnden Perspektiv­en für die Jugend kann das zu einer Radikalisi­erung führen, wie die hohe Zahl der bosnischen ISKämpfer zeigt“, sagt Dzihic.

Am 12. Juli sollen in Triest unter EU-Vermittlun­g Lösungen gefunden werden.

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Mazedonien: Nationalis­ten stürmen im April das Parlament, nachdem Sozialdemo­kraten und albanische Kleinparte­ien eine Mehrheit bildeten
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Präsident allmächtig: Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic

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