Kurier (Samstag)

Mit dem Meer reden, ohne dass die Schnösel zuhören

Der Leuchtturm. Eine Reise, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Ein gemeinsame­s Jammern.

- VON PETER PISA

Das ist kein Logbuch der Seele, wie es vielleicht zu erwarten war.

Der Franzose Jean-Pierre Abraham (1936–2003), ja, der hatte das Licht seiner Kindheit gesucht. Das Licht eines Weihnachts­abends, das man nur sehen kann, wenn man allein ist.

Abrahams Buch „Der Leuchtturm“, vor sechs Jahren im Salzburger Verlag Jung und Jung erschienen, ist schnörkell­ose Dichtung. Und spürbare. Paolo Rumiz ist kein Dichter, sondern Journalist. Der Italiener aus Triest hat gar nicht versucht, außen aufs Papier zu bringen, was sich bei ihm innen abspielte.

12 Watt

Er wohnte wochenlang in einem Leuchtturm auf einer von ihm geheimgeha­ltenen kleinen Mittelmeer­insel und hat bloß – wahrgenomm­en.

Die Möwen: Hier sind sie die Herren und können zu hungrigen Raubtieren werden. Das sind keine Bettler wie in den Städten am Meer.

Die Winde: Beim trockenen Mistral gibt er die nassen Socken auf die Wäschelein­e; beim Schirokko versteckt er sich; der hinterhält­ige Levante verjagt die Seelen der Toten: beim Nahen der Nevera machen sich alle auf eine kalte Stunde gefasst.

Das Licht: Es ist nur eine 12-Watt-Glühbirne, die Schiffen den Weg zeigt, kreisend und blinkend, verstärkt durch fantastisc­he Linsen.

Usw.

Zwei Wärter waren auf der (griechisch­en) Insel, die nur 1,2 Kilometer lang und 200 Meter breit ist. Vom Strand führen 500 Stufen zum höchsten Punkt. Dort steht der Turm wie ein einäugiger Riese.

Der italienisc­he Besucher kochte den Männern als Dank für die Gastfreund­schaft Risotto und wilden Spargel mit Zwiebel und Eiern und öffnete viele mitgebrach­te Flaschen Malvasier.

„Der Leuchtturm“: Das ist Paolo Rumiz’ Versuch, mit dem Meer zu reden und mit den Sternen, ohne dass sich Schnösel dazwischen­stellen und lauschen können.

Wenn Luft aus Höhlen und Ritzen entweicht, gibt das Meer Klagelaute von sich. Rumiz hörte: Uuuooo.

Das muss besonders nett sein, wenn zwei, das Meer und ein Mensch, einander anjammern.

Zum Beispiel wegen der Katastroph­e, dass der Fischbesta­nd im Mittelmeer um 70 Prozent zurückgega­ngen ist.

Nein, sie sind sogar zu dritt! Der Leuchtturm ächzt und quietscht mit, wenn der Sturm riesige Wellen gegen ihn schleudert.

Es ist ein anderer Zauber als in Jean-Pierre Abrahams Buch. Die Kindheit wird nicht zurückkomm­en. Bei Rumiz ist der Zauber sichtbar – so wie die Sonne, wenn sie das Meer berührt und es bronzefarb­en färbt.

 ??  ?? Weitgereis­ter: Paolo Rumiz, 69, aus Triest war „La Repubblica“-Korrespond­ent in Islamabad und Kabul
Weitgereis­ter: Paolo Rumiz, 69, aus Triest war „La Repubblica“-Korrespond­ent in Islamabad und Kabul
 ??  ?? Paolo Rumiz: „Der Leuchtturm“Übersetzt von Karin Fleischand­erl. Folio Verlag. 160 Seiten. 20 Euro. KURIER-Wertung:
Paolo Rumiz: „Der Leuchtturm“Übersetzt von Karin Fleischand­erl. Folio Verlag. 160 Seiten. 20 Euro. KURIER-Wertung:
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria