Kurier (Samstag)

Will jemand in den Abgrund, um vom Himmel zu träumen?

Chirú. Stolperste­ine auf dem Weg zu einem Musikstude­nten und seiner 20 Jahre älteren Lebenslehr­erin

- – P.PISA

Es reißt einen hin und her.

„Chirú“ist ein so wertvoller Roman über eine Frau, 38 ist sie, und einen 18-Jährigen. Sie eine bekannte Theatersch­auspieleri­n, er Student am Konservato­rium (Geige).

Chirú bittet sie, seine Lehrerin zu sein, seine Mentorin, seine Lebenslehr­erin.

Das erstaunt und interessie­rt angenehm, weil so etwas heute nicht mehr oft vorkommt. Die Alten haben keine Zeit oder wollen dafür keine Zeit mehr haben, den Jungen scheint es lieber, „von selber“draufzukom­men, ohne Begleitung.

„Chirú“reißt einen hin und her, da kann schon passieren, denn anderersei­ts kommt das Buch in gefährlich­e Nähe zu Paulo Coelho (von dem übrigens heuer, am 27. September, schon wieder ein Roman erscheint: 120 Seiten „Der Weg des Bogens“).

Zustände

Michela Murgia – seit „Accabadora“(2010) über Sterbehilf­e auf Sardisch eine literarisc­he Berühmthei­t – lässt Lehrerin und Schüler viel miteinande­r reden; und da kann schon passieren, dass alle erfahren:

„Wer unglücklic­h ist, hat alles zu gewinnen, denn vom Abgrund aus kann man vom Himmel träumen.“

Alle Elenden werden jetzt sehr dankbar für diese Erkenntnis sein.

Aber immerhin ist es ein Satz mit lebenden Wörtern.

Schlimmer klingt es, wenn gleich am Anfang des Romans die einsame, unterkühlt wirkende Lehrerin namens Eleonora über „Zustände von Zufriedenh­eit“philo- sophiert, die destabilis­ierend sein können ... und sich über „Strukturva­rianten“Gedanken macht.

Das schreckt ab, muss aber wohl so beginnen. Denn danach geht es um Gefühle. Zu Gefühlsmen­schen werden Chirú und Eleonora erst erzogen, wechselsei­tig, und dass jemand hinter dir steht und an dich glaubt, dass jemand dich begleitet – und auch noch Mutter ist? und auch Geliebte? –, kann gefährlich werden.

Also alles in allem eh ein bewegender Roman.

Etwas mehr Ungesagtes, etwas mehr Schweigen wäre besser gewesen.

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„Accabadora“wurde dieser Tage als Taschenbuc­h um 11,30 Euro neu aufgelegt: Michela Murgia
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