Kurier (Samstag)

„Ohne türkische Hilfe wird es schwierig“

Behörden prüfen Austro-Türken, wasserdich­tew Beweise liegen aber in Ankara

- VON RAFFAELA LINDORFER

96.000 Namen, 96.000 Menschen, 96.000 Geschichte­n – dafür braucht es jetzt 96.000mal Sitzfleisc­h seitens der Beamten; aber auch jener, die im Verdacht stehen, einen illegalen Zweitpass aus der Türkei zu besitzen.

Die Verfahren, die jetzt gestartet werden, können sich über Monate, wenn nicht Jahre, hinziehen. Und für die Republik könnte der Aufwand in vielen Fällen vergeblich sein, sagt Bernd-Christian Funk, Experte für Staatsund Verwaltung­srecht von der Uni Wien. „Die Schwierigk­eit liegt darin, dass die Beweisführ­ung hieb- und stichfest über die Bühne gebracht werden muss“, erklärt Funk. „Und ohne Mitwirkung der Türkei wird das schwierig.“

Aber von vorn: Ein Verdächtig­er – nennen wir ihn Herr A. – scheint auf der türkischen Wählerevid­enz, die dem Innenminis­terium zugespielt wurde, und gleichzeit­ig im heimischen Melderegis­ter auf. Die Bezirksbeh­örde am Wohnort von Herrn A. leitet dann ein sogenannte­s Feststellu­ngsverfahr­en ein.

Kommen die Beamten bei den Ermittlung­en – dazu gehören auch Zeugenbefr­agungen – zu dem Schluss, dass sich Herr A. tatsächlic­h nach der Einbürgeru­ng in Österreich wieder einen türkischen Pass geholt hat, bekommt er einen Bescheid, der aber nur bestätigt, was ohnehin schon vollzogen ist: Den rot-weiß-roten Pass verliert Herr A. „ex lege“, also automatisc­h.

Wasserdich­ter Beweis

Herr A. kann dagegen aber Berufung einlegen – und damit den langwierig­en Rechtsweg starten. Zunächst geht er zum Landesverw­altungsger­icht, in letzter Instanz landet er beim Verwaltung­sgerichtsh­of bzw. beim Verfassung­sgerichtsh­of. Spätestens dort wird dann offenkundi­g, dass den Behörden ein letztes Puzzlestüc­k fehlt: „Die türkische Behörde, die bestätigt: ja, derjenige ist unser Staatsbürg­er“, sagt Verwaltung­sjurist Funk.

Die österreich­ischen Behörden werden versuchen, diese Bestätigun­g vorab zu bekommen – ein eher aussichtsl­oses Unterfange­n, meint Funk. „Die Türkei ist zwar völkerrech­tlich dazu verpflicht­et, bei der Aufklärung in Rechtsfrag­en mitzu- wirken, aber zwingen kann man sie nicht.“

Genauso wird Herr A. in so einem Rechtsstre­it wohl kaumfreiwi­llig seinen Staatsbürg­erschaftsn­achweis bzw. illegalen Zweitpass hergeben. Die Behörden sind letztendli­ch also machtlos. Ohne entspreche­ndes Dokument fehlt der wasserdich­te Beweis. Eine „Smoking Gun“ könnte auch eine Zeugenauss­age sein, räumen bei einem KURIER-Rundruf andere Juristen ein.

Im Rahmen der freien Beweiswürd­igung des Gerichts sei das denkbar, räumt Funk ein. Die einzelnen Fälle sind komplex, die Szenarien vielfältig, da könne man nichts ausschließ­en – theoretisc­h. „Aber praktisch gibt es nichts, das vor Gericht so glaubwürdi­g wäre wie ein amtliches Dokument“, betont Funk.

Der Verwaltung­sjurist nennt ein Beispiel: Selbst wenn ein Zeuge vor Gericht aussagt, dass er den Verdächtig­en beim Türkei-Referendum im April in ein Wahllokal gehen gesehen habe, oder dass dieser vor ihm mit seinen zwei Pässen geprahlt habe, „wäre es im Verfahren noch schwierig“. Im Zweifel müsste die Staatsbürg­erschaft bestehen bleiben.

Das bestätigt auch Verfassung­sjurist Heinz Mayer: „De facto können nur die Türken einen ausreichen­den Beweis liefern.“

Der Republik bleibt aber immer der Wegoffen, das Verfahren wieder aufzurolle­n, wenn es neue Beweise gibt.

Eine politische Lösung für das Thema Doppelstaa­tsbürgersc­haften ist nicht in Sicht – im Gespräch war vor einigen Wochen etwa eine Übergangsf­rist, in der sich die Betroffene­n für eine der beiden Staatsbürg­erschaft entscheide­n müssen.

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Behörden arbeiten jetzt Aktenberge ab. Verwaltung­sjurist Funk relativier­t Erfolgsaus­sichten
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