Kurier (Samstag)

Nicht ohne ... ... mein Smartphone

Suchtgefah­r. Schon Zweijährig­e hängen stundenlan­g am Schirm. Wie wirkt sich das auf die Psyche aus? Und wie können Eltern eingreifen?

- VON INGRID TEUFL

Ein Like hier, ein Emoji da, schnell mal durch die Timeline gescrollt und noch eine Runde auf Tinder geswiped. Letzteres kennen Sie nicht? Das ist eine Technik, bei der der Daumen auf dem Display nach links oder rechts wischt. Wer swiped, bewegt auch den Finger ohne Anheben über die Tastatur. Die „Generation Daumen“schafft damit locker, 50 Wörter pro Minute zu schreiben.

Im digitalisi­erten Alltag ist all das längst selbstvers­tändlich geworden. Smartphone, Tablet und Notebook gehören für Kinder, Jugendlich­e und junge Erwachsene zum Leben. Die Digital Natives kennen es nicht anders. Mehrere Stunden täglich im Internet zu verbringen, ist für sie völlig normal.

Dabei zeigt sich: Die Nutzer werden immer jünger. Eine deutsche Untersuchu­ng ergab, dass bereits 75 Prozent der Zwei- bis Vierjährig­en täglich mehr als 30 Minuten mit demSmartph­onespielen. Der Mini-Computer mit Telefonfun­ktion hat damit eine Sonderstel­lung: „Es ist das moderne Allzweckme­sser, das man rund um die Uhr dabei hat und das überall einsetzbar ist“, sagt Christian Montag von der Abteilung für Molekulare Psychologi­e an der Universitä­t Ulm.

Langzeitfo­lgen

Verändert das die Menschen? Noch ist es zu kurz, um etwaige Langzeitfo­lgen zu sehen. Das Internet ist vor etwa 25 Jahren in den Alltag eingezogen, das Smartphone vor zehn Jahren – „das Phänomen ist noch so neu, dass größtentei­ls die Erfahrung fehlt“, sagt Prim. Kurosch Yazdi. Der Psychiater leitet am Kepler Universitä­tsklinikum Linz eine Abteilung mit Schwerpunk­t Suchtmediz­in.

Studien zeigen diesbezügl­ich erste Ergebnisse, sagt der Psychologe Montag: „Es gibt erste empirische Hinweise, dass die problemati­sche Nutzung mit Aufmerksam­keitsdefiz­iten und Empathie-Einschränk­ungen in Zusammenha­ng stehen.“Bei kleinen Kindern verhindert der Non-stop-Blick ins Smartphone, Emotionen im Gesicht anderer zu lesen und zu deuten – auch von nahen Bezugspers­onen. „Wenn diese Fähigkeit nicht ausreichen­d gelernt wird, könnte das zu sozial inkompeten­teren Kindern führen.“Fingerübun­gen mit technische­n Ge- räten ersetzen häufig das Spiel im Freien – auch das könnte fatale Folgen haben, sagt Montag: „Herumtolle­n und mit anderen Kindern spielen ist enorm wichtig für die Entwicklun­g von sozialen Kompetenze­n und die Grobmotori­k. Es ist bedeutend für die gesunde Reifung des Gehirns.“

Die Affinität beginnt bereits bei den Eltern, die ständig mit dem Smartphone hantieren. „Kinder lernen am Modell und ahmen Erwachsene nach“, betont Montag. Der deutsche Kinderpsyc­hiater Michael Hinterhof spricht in einem Interview mit „Business Insider Deutschlan­d“von ständiger Reizüberfl­utung – ein Teufelskre­is. Denn oft wird erst wieder das Internet gewählt, um Kinder rasch zufrieden zu stellen. So entwickle sich aber keine Frustratio­nstoleranz – eine wichtige Fähigkeit, um im Alltag zu bestehen. Etwa, wenn das Kind nicht sofort das bekommt, was es will. „Je jünger ein Kind ist, desto mehr müssen die Eltern Einschränk­ungen ausspreche­n “, betont Yazdi. „Das ist eine Bringschul­d der Eltern und gehört zum Erziehen.“Ein Dreijährig­er könne nicht selbst über seinen Schokolade­konsum entscheide­n, ein Elfjährige­r nicht über eine vernünftig­e tägliche Internet-Dosis. Bei Älteren sind andere Strategien gefragt: „Da geht es weniger um Einschränk­ungen als ums Schaffen von Bewusstsei­n, indem man miteinande­r darüber redet.“

Zwölfjähri­ge süchtig

Wenn die Smartphone-Nutzung zwanghaft wird oder man Angst hat, etwas zu verpassen („fomo“– Fear of missing out), besteht das Risiko einer Suchtgefäh­rdung.

Je nach Untersuchu­ng sind drei bist fünf Prozent aller Kinder und Jugendlich­en betroffen. Sie werden immer jünger, bemerkt Yazdi. „Früher hatten wir vor allem Studenten in der Klinik, heute kommen Zwölf- und 13-Jährige, die internet- und spielsücht­ig sind.“So richtig darauf eingestell­t hat sich das Gesundheit­ssystem noch nicht. „Das Angebot ist weit unter dem Bedarf.“Er fordert eine flächendec­kende Versorgung – zumal das Problem eher größer als kleiner werden wird.

Die Grenze zur Sucht definiert Yazdi so: „Dort, wo normales Leben deutlich beeinträch­tigt ist oder wo ich es nicht mehr ohne Leistungse­inbußen schaffe.“Gute Schüler sacken dann in der Schule ab, Lehrlinge verbocken Arbeitsstü­cke. Auch die sozialen Kontakte im Familien- und Freundeskr­eis nehmen ab, weil der Jugendlich­e stunden-, tage- oder gar nächtelang vor dem Computer sitzt und spielt.

Dazu kommt, dass den Betroffene­n das Bewusstsei­n fehlt, ein Problem zu haben. „Für sie ist das normal – das Problem haben eher die anderen, also Eltern oder Lehrer.“Das sind Mitgründe, warum die Behandlung der jugendlich­en Internetsu­cht so schwierig ist. „Anders als Erwachsene spüren sie nicht, dass sich Suchtmecha­nismen aufbauen“, erklärt Yazdi. „Das Gehirn unterschei­det nicht zwischen einzelnen Süchten, die Mechanisme­n sind immer sehr ähnlich, egal ob Drogen-, Nikotin- oder eben Internetsu­cht. Es kommt zu klassische­n Entzugsers­cheinungen wie massive Nervosität, Schlafstör­ungen, extreme innere Anspannung und Reizbarkei­t.“

Die Behandlung verläuft auf verschiede­nen Ebenen – sofern die Betroffene­n das wollen. In Gruppenthe­rapien wird etwa erarbeitet, warum einem das Internet so wichtig ist oder wie ein Leben ohne aussehen könnte. Yazdi: „Es geht darum, einen Weg zur Internetnu­tzung zu finden, die nicht schadet. Es ganz aus dem Alltag zu verbannen, ist heutzutage unrealisti­sch.“Das sieht auch Psychologe Montag so: „Abstinenz ist heute kein Ziel. Es muss Medienkomp­etenz erreicht werden, etwa, indem man Selbstregu­lationsfäh­igkeiten fördert.“

Eltern haben nicht nur in der Vorbeugung und Erziehung, sondern auch in der Suchtthera­pie eine wichtige Rolle. „Je jünger das Kind, desto wichtiger der pädagogisc­he Teil zu Hause“, betont der Linzer Suchtexper­te Yazdi. „Wir unterstütz­en die Eltern dabei, wie es funktionie­ren könnte.“Es gibt am Unikliniku­m eine Elterngrup­pe internetsü­chtiger Kinder, die sich regelmäßig mit einem Psychother­apeuten trifft. „Es werden gemeinsam individuel­le Lösungen erarbeitet. Die Eltern profitiere­n auch gegenseiti­g von Erfahrunge­n.“

„Je jünger ein Kind ist, desto mehr müssen die Eltern Einschränk­ungen ausspreche­n.“Prim. Kurosch Yazdi Psychiater und Suchtexper­te „Das Smartphone ist das moderne Allzweckme­sser, das überall einsetzbar ist.“Prof. Christian Montag

Psychologe

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Mobile digitale Geräte ersetzen zunehmend reale Kontakte. Die Langzeitfo­lgen dieser noch jungen Entwicklun­g sind noch nicht abzusehen. Schon jetzt sind bis zu fünf Prozent der Jugendlich­en internetsü­chtig

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