Türkise Fans oder rote Tarnkappe
Wahl. Warum die ÖVP hinter angeblicher Kurz-Fanseite die SPÖ vermutet und der Netz-Wahlkampf schmutzig wird
Die Umfrage war reichlich zugespitzt: „NGOs drohen die MenschennachÖsterreich zu bringen. Soll Österreich sich das gefallen lassen?“, wurde jüngst auf der Facebook-Fanseite Wir für Sebastian Kurz gefragt. Und weiter: „Soll der Brenner geschlossen werden?“
Kurz will letztlich den Brenner schließen?
Eine zumindest fragwürdige Behauptung. Mindestens ebenso unklar ist, wer die im Parteidesign gestaltete Seite überhaupt betreibt. Denn Autoren und Hintermänner sind anonym.
Ist es die ÖVP selbst, die damit eine perfide Doppelstrategie verfolgt, wie die rote Flüsterpropaganda behauptet. Frei nach dem Motto: Hier die nette, offizielle Netz-Repräsentanz des ÖVP-Chefs, da die zugespitzte Version.
Ist es vielleicht die SPÖ selbst, die Kurz mit der Seite schaden will, wie ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger behauptet, wennsie von „einem Tiefpunkt im Dirty Campaigning“spricht?
„Die Seite ist nicht so gestaltet, dass sie klar als Angriff durch den politischen Gegner erkennbar ist“, sagt Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig zum KURIER. „Wenn es in Richtung grotesker Vorwürfe abgleiten würde, dann wäre die Situation eindeutig. Aber die Ausrichtung ist einfach zu unklar.“
Fakt ist: Die ÖVP versucht gerade, die Seite auf Facebook zu löschen. Allein das ist ein schwieriges Unterfangen. „Facebook gibt solche Daten (Urheberschaft von Seiten) üblicherweise nicht heraus – außer auf gerichtliche Anordnung oder nach Einschreiten der Staatsanwaltschaft“, sagt Brodnig.
100.000 Euro im Monat
Fakt ist weiters: Die Sozialen Netzwerke und das Internet haben im Nationalratswahlkampf 2016 einen völlig neuen Stellenwert. 100.000 Euro investiert die SPÖ seit zwei Monaten in negatives OnlineCampaigning gegen Sebastian Kurz. Das behauptete erst am Freitag die Volkspartei und berief sich auf von ihr eigens erstellte Twitter-Statistiken, Recherchen von GoogleInseraten und anderes.
Unabhängig davon, ob die behauptete Summe stimmt – dem KURIER wurden sie in der SPÖ vorerst nicht bestätigt – zeigt die Zahl zumindest eines: Die Parteien betreiben mittlerweile einen ungemeinen Aufwand im Online-Wahlkampf. Und nicht zuletzt deshalb gibt es eine Vielzahl an „Nachrichten“-Seiten, hinter denenParteien bzw. parteinahe Agenturen oder Unternehmen stehen (siehe rechts oben).
Kontrollerlust
Für die Parteien stellen die digitalen Kommunikationskanäle eine Chance, gleichzeitig aber eine enorme Gefahr dar. Der Grund: Es droht ein Kontrollverlust. „Bei Seiten wie Wir für Sebastian Kurz können Politiker schnell in große Schwierigkeiten geraten“, sagt Yussi Pick. Pick ist Experte für Online-Campaigning (er hat zum Beispiel im Team von Hillary Clinton mitgearbeitet).
Warum versucht die ÖVP im konkreten Fall eine Löschung bei Facebook zu erzwingen? „Bei solchen Seiten wird der Kern der eigenen Botschaften zwar lange erhalten und weitergetragen. Allerdings hat die ÖVP keine Chance zu reagieren, wenn überspitzte oder falsche Behauptungen in ihrem Namen verbreitet werden – und die können schnell auf einen selbst zurückfallen.“
Böse Gerüchte
Womit wir bei den strategischen Unwägbarkeiten des „Negative Campaignings“sind. Die – subtile – Kritik am politischen Gegner ist längst keine Erfindung der digitalen Wahlkämpfer. „Negative Campaigning gab’s schon immer, im Prinzip ist ja jedes bösartige Gerücht, das man gezielt über den Gegner in die Welt setzt, in diese Rubrik einzuordnen“, sagt Pick.
Über die Effekte von Negativ-Kampagnen sind sich die Wahlkampfstrategen uneins. „Es gibt keinen Beleg dafür, dass Negative Campaigning Stimmen bringt“, sagt Pick. Warum machen es die Parteien dann? „Weil es – falls gut gemacht – den Gegner Stimmen kostet.“
Und in den anderen Fällen? „Dann kann es auf einen selbst zurückfallen und eigene Stimmen kosten. Es besteht also ein nicht zu unterschätzendes Risiko.“