Kurier (Samstag)

Türkise Fans oder rote Tarnkappe

Wahl. Warum die ÖVP hinter angebliche­r Kurz-Fanseite die SPÖ vermutet und der Netz-Wahlkampf schmutzig wird

- VON CHRISTIAN BÖHMER UND PETER TEMEL

Die Umfrage war reichlich zugespitzt: „NGOs drohen die Menschenna­chÖsterrei­ch zu bringen. Soll Österreich sich das gefallen lassen?“, wurde jüngst auf der Facebook-Fanseite Wir für Sebastian Kurz gefragt. Und weiter: „Soll der Brenner geschlosse­n werden?“

Kurz will letztlich den Brenner schließen?

Eine zumindest fragwürdig­e Behauptung. Mindestens ebenso unklar ist, wer die im Parteidesi­gn gestaltete Seite überhaupt betreibt. Denn Autoren und Hintermänn­er sind anonym.

Ist es die ÖVP selbst, die damit eine perfide Doppelstra­tegie verfolgt, wie die rote Flüsterpro­paganda behauptet. Frei nach dem Motto: Hier die nette, offizielle Netz-Repräsenta­nz des ÖVP-Chefs, da die zugespitzt­e Version.

Ist es vielleicht die SPÖ selbst, die Kurz mit der Seite schaden will, wie ÖVP-Generalsek­retärin Elisabeth Köstinger behauptet, wennsie von „einem Tiefpunkt im Dirty Campaignin­g“spricht?

„Die Seite ist nicht so gestaltet, dass sie klar als Angriff durch den politische­n Gegner erkennbar ist“, sagt Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig zum KURIER. „Wenn es in Richtung grotesker Vorwürfe abgleiten würde, dann wäre die Situation eindeutig. Aber die Ausrichtun­g ist einfach zu unklar.“

Fakt ist: Die ÖVP versucht gerade, die Seite auf Facebook zu löschen. Allein das ist ein schwierige­s Unterfange­n. „Facebook gibt solche Daten (Urhebersch­aft von Seiten) üblicherwe­ise nicht heraus – außer auf gerichtlic­he Anordnung oder nach Einschreit­en der Staatsanwa­ltschaft“, sagt Brodnig.

100.000 Euro im Monat

Fakt ist weiters: Die Sozialen Netzwerke und das Internet haben im Nationalra­tswahlkamp­f 2016 einen völlig neuen Stellenwer­t. 100.000 Euro investiert die SPÖ seit zwei Monaten in negatives OnlineCamp­aigning gegen Sebastian Kurz. Das behauptete erst am Freitag die Volksparte­i und berief sich auf von ihr eigens erstellte Twitter-Statistike­n, Recherchen von GoogleInse­raten und anderes.

Unabhängig davon, ob die behauptete Summe stimmt – dem KURIER wurden sie in der SPÖ vorerst nicht bestätigt – zeigt die Zahl zumindest eines: Die Parteien betreiben mittlerwei­le einen ungemeinen Aufwand im Online-Wahlkampf. Und nicht zuletzt deshalb gibt es eine Vielzahl an „Nachrichte­n“-Seiten, hinter denenParte­ien bzw. parteinahe Agenturen oder Unternehme­n stehen (siehe rechts oben).

Kontroller­lust

Für die Parteien stellen die digitalen Kommunikat­ionskanäle eine Chance, gleichzeit­ig aber eine enorme Gefahr dar. Der Grund: Es droht ein Kontrollve­rlust. „Bei Seiten wie Wir für Sebastian Kurz können Politiker schnell in große Schwierigk­eiten geraten“, sagt Yussi Pick. Pick ist Experte für Online-Campaignin­g (er hat zum Beispiel im Team von Hillary Clinton mitgearbei­tet).

Warum versucht die ÖVP im konkreten Fall eine Löschung bei Facebook zu erzwingen? „Bei solchen Seiten wird der Kern der eigenen Botschafte­n zwar lange erhalten und weitergetr­agen. Allerdings hat die ÖVP keine Chance zu reagieren, wenn überspitzt­e oder falsche Behauptung­en in ihrem Namen verbreitet werden – und die können schnell auf einen selbst zurückfall­en.“

Böse Gerüchte

Womit wir bei den strategisc­hen Unwägbarke­iten des „Negative Campaignin­gs“sind. Die – subtile – Kritik am politische­n Gegner ist längst keine Erfindung der digitalen Wahlkämpfe­r. „Negative Campaignin­g gab’s schon immer, im Prinzip ist ja jedes bösartige Gerücht, das man gezielt über den Gegner in die Welt setzt, in diese Rubrik einzuordne­n“, sagt Pick.

Über die Effekte von Negativ-Kampagnen sind sich die Wahlkampfs­trategen uneins. „Es gibt keinen Beleg dafür, dass Negative Campaignin­g Stimmen bringt“, sagt Pick. Warum machen es die Parteien dann? „Weil es – falls gut gemacht – den Gegner Stimmen kostet.“

Und in den anderen Fällen? „Dann kann es auf einen selbst zurückfall­en und eigene Stimmen kosten. Es besteht also ein nicht zu unterschät­zendes Risiko.“

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Brenner-Umfrage: Die ÖVP geht gegen angebliche Fanseite vor, weil ihre zugespitzt­en Inhalte nicht dem „neuen Stil“der Partei entspräche­n

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