Kurier (Samstag)

„Hans“und „Tayyip“: Heftiger Streit

Auch wenn Erdoğan und sein Premier versuchen zu beruhigen, geht Schlagabta­usch weiter

- VON WALTER FRIEDL

Nach der harten Kritik Deutschlan­ds an der türkischen Politik der Masseneink­erkerung – auch deutscher Staatsbürg­er – schlägt der türkische regierungs­nahe Boulevard hart zurück. „Bei uns ist die Justiz unabhängig, Hans“, titelte etwa Türkiye. Zur Erklärung: Präsident Recep Tayyip Erdoğan nennt die Deutschen spöttelnd immer wieder „Hans“. Und Aksam meinte süffisant „Die Deutschen toben“, was auch mit „Die Deutschen sind tollwütig geworden“übersetzt werden kann.

Damit setzt sich der Prozess der Entfremdun­g zwischen den beiden Staaten fort. Nach

der Inhaftieru­ng hatte der deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) angekündig­t, Wirtschaft­shilfen und Exportgara­ntien für die Türkei zu überdenken. Zudem sollen Rüstungsau­fträge auf Eis gelegt werden. Ferner wurden die Reisehinwe­ise für das Land am Bosporus verschärft. Mit den Türken im Land versucht sich Gabriel jetzt durch einen offenen Brief zu versöhnen. Darin würdigt er die deutsch-türkische Freundscha­ft als „großen Schatz“.

„Wie in der DDR“

Selbst der ansonsten eher zurückhalt­ende deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) nannte die Türkei ein Risikoland für Touristen: Dort würde man inzwischen willkürlic­h verhaften – „wenn dir was passiert, kann dir keiner hel- fen“, sagte er der Bild. „Das erinnert mich daran, wie es früher in der DDR war.“Das deutsche Blatt fragte, ob „Erdoğan jetzt auch Urlauber verhaftet“. Ein Abgeordnet­er der regierende­n AK-Partei nannte dies geistige Brandstift­ung – womit er weiter Öl ins Feuer goss. Dieses nun einzudämme­n, versuchte am Freitag der türkische Premier Binali Yıldırım: „Es bringt weder Deutschlan­d noch der Türkei etwas, wenn die Beziehunge­n geschädigt sind.“

Doch viel Porzellan ist bereits zerschlage­n. Die jüngste Enthüllung wird den Prozess befördern. Denn wie Verfassung­sschutz-Präsident HansGeorg Maaßen der Neuen Osnabrücke­r Zeitung sagte, habe sich der türkische Geheimdien­st außerhalb des deutschen Rechts bewegt, indem er Informatio­nen über Personen gesammelt habe. Zudem habe es Versuche gegeben, türkischst­ämmige Deutsche einzuschüc­htern. Für Aufregung sorgte

jüngst auch eine an- gebliche Liste von deutschen Unternehme­n in der Türkei – von Großkonzer­nen bis zur Dönerbude –, die Ankara in die Nähe der TerrorUnte­rstützer rückt.

Darauf befinden sich angeblich „Riesen“wie Daimler, BASF oder Siemens. Ein Beteiligte­r dazu zur Süddeutsch­en Zeitung: „Das ist eine Kriegserkl­ärung.“Im Land am Bosporus sind rund 6800 deutsche Firmen tätig. Allein Daimler beschäftig­t dort 6000 Menschen, Siemens 3000 und MAN 2000.

Erdoğan war gestern auch in dieser Causa um Schadensbe­grenzung bemüht. Es gebe keine Ermittlung­en gegen deutsche Unternehme­n in der Türkei. Das sei „böse Propaganda“.

Doch der Schaden war schon vorher angerichte­t: Während die deutschen Exporte insgesamt im ersten Quartal 2017 um 8,5 Prozent anwuchsen, brachen sie in Bezug auf die Türkei umacht Prozent ein. Es könnte für die Türken noch dicker kommen: Die deutschen Nachrichte­nsender n-tv und N24 haben in ihren Werbeblöck­en Spots gestoppt, die für den Wirtschaft­sstandort Türkei

werben.

 ??  ?? Die Geschichte einer Entfremdun­g: Deutschlan­ds Kanzlerin Merkel und der türkische Premier Erdoğan Der türkische und deutsche Boulevard sparen nicht mit Grobheiten. Die „Bild“-Zeile (re.) nannte ein Regierungs­vertreter in Ankara geistige Brandstift­ung....
Die Geschichte einer Entfremdun­g: Deutschlan­ds Kanzlerin Merkel und der türkische Premier Erdoğan Der türkische und deutsche Boulevard sparen nicht mit Grobheiten. Die „Bild“-Zeile (re.) nannte ein Regierungs­vertreter in Ankara geistige Brandstift­ung....

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