Zwischen Schock und
Am Tag nach dem Terror kehrt in Barcelona langsam Alltag ein – Barcelona will eine Stadt der Begegnung bleiben, nicht der Verriegelung Aus Barcelona
Der Ort des Horrors hat anscheinend eine magische Anziehungskraft. Es ist Freitag, wenige Minuten vor zwölf Uhr mittags im Zentrum von Barcelona, als Tausende Menschen eiligen Schrittes via Passeig de Gràcia Richtung Plaça Catalunya marschieren. Keine 24 Stunden ist es her, dass Terroristen an dem zentralen Platz jene Todesfahrt gestartet haben, die auch heute noch die weltweiten Nachrichtenlage bestimmen wird.
Die mehr oder weniger edlen Boutiquen auf der bekanntesten Einkaufsstraße der Stadt lassen die Passanten in diesem Moment auffällig unauffällig links und rechts liegen. Kein Blick in die opulente Auslage von Chanel, kein kurzer Besuch bei Zara. Die Zeit drängt: Für zwölf Uhr ist eine Schweigeund Trauerminute angekündigt – ein symbolischer Akt, den man in den vergangenen Monaten viel zu oft zelebrie- ren musste: in Paris, in Brüssel, in Nizza. Nun in Barcelona, einer der populärsten Touristenstädte Europas.
Der von der Polizei für den Straßenverkehr gesperrte Platz ist längst prall gefüllt. Nur herrscht an diesem Tag ausnahmsweise keine Hektik. Vorsichtig wird miteinander umgegangen auf der Plaça Catalunya, die für diesen Moment auf einmal wieder allen gehört: Anwohnern und Touristen. Üblicherweise meiden Einheimische diesen Ort. Weil er hektisch und schrill geworden ist durch die Zigtausenden Tagesgäste, die von Billigf liegern abgesetzt oder von Kreuzfahrtschiffen angespült werden.
Seltener Zusammenhalt
An diesem Freitag ist nichts wie immer in der Millionenmetropole, die in etwa so viele Einwohner zählt, wie Wien, deren dichtes Treiben in der Innenstadt aber eher an Manhattan erinnert.
Eine friedliche wie beängstigende Stille hat sich über die Plaça gelegt. Lediglich kollektives Klatschen ist zu hören – und zwar immer dann, wenn eines der wenigen zugelassenen Autos vorfährt und eine der hochrangigen Personen aus dem Königshaus oder der Regierung zur Gedenkfeier schreitet. Selbst der in Katalonien unbeliebte Premier Spaniens, Mariano Rajoy, der Madrider Zentralismus verkörpert wie kein Zweiter, erntet ausnahmsweise keine Buh-Rufe.
Wenige Wochen vor der nächsten Abstimmung über die Unabhängigkeit der Autonomen Region vom spanischen Staat wird seltener Zusammenhalt zelebriert. Es ist eines von vielen symbolhaften Bildern an diesem Tag für die Medienschar, die mit ihren Fernsehkameras, Stativen und Übertragungswägen auf einer Seite des Platzes Stellung bezogen hat.
Kaum weniger Kameras sind auf den Ramblas positioniert worden. Auf der bekannten und belebten Flaniermeile der Stadt hat der Terror am Donnerstag eine Verwüstung über mehrere hundert Meter hinterlassen. Die gröbsten Spuren sind mittlerweile weggekehrt oder weggespült worden. Nur hier und dort sind noch Blutflecken zu erkennen bei den zahlreichen, mit Blumen, Kerzen und Stofftieren verzierten Gedenkstellen.
Es ist ein Anblick, der bereits genügt, um sich das Unvorstellbare des Vortags doch irgendwie vorzustellen. Den
Rest tun die teilweise kaum zu ertragenden Fotos in den Tageszeitungen. Es sind Bilder, die manche vielleicht sehen wollen, die aber niemand sehen sollte. Selbst die vielen katalanischen und spanischen Sportzeitungen, die zu den meistgelesenen des Landes gehören, haben die Sportberichterstattung hintangestellt. Die Aufschlagseiten zieren stattdessen Schlagzeilen wie „Schmerz“, „Horror“oder „Wir können nicht über Sport sprechen“.
Keine Boller
An anderen Tagen verbindet Barcelona mühelos mediterrane Gelassenheit mit multikultureller Größe. Der Schock sitzt tief, auch wenn ihn sich die Stadt nicht anmerken lassen will. Die Polizei ist präsent, ohne jedoch ein Gefühl der permanenten Bedrohung auszustrahlen. So hat es auch die Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, angekündigt, als sie noch Donnerstagnacht vor die Bevölkerung trat.
Schutzblöcke aus Beton, die nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin in vielen Städten errichtet wurden, wird es in Barcelona wohl auch in näherer Zukunft nicht geben. Die Stadt solle weiterhin ein Ort der Begegnung bleiben, keiner der Verriegelung.
Am Ernst der Lage ändert das nichts. Seit den Anschlägen auf den Hauptbahnhof in Madrid 2004, die rund 200 Todesopfer forderten, ist Spanien eines der engagiertesten Länder Europas in Sachen Terrorbekämpfung und -erkennung. Einen zweiten geplanten Anschlag im Ferienort Cambrils, rund 90 Autominuten südlich von Barcelona, haben die Einsatzkräfte in der Nacht auf Freitag verhindern können.
Ein kleiner Lichtblick, wenn auch kein Trost für all jene an diesem Freitag auf den Ramblas. Nur langsam bestimmt der Alltag wieder das Tempo der Stadt. Am Nachmittag nehmen auch die vielen roten SightseeingBusse, die das Stadtbild längst mitprägen, wieder Fahrt auf. Und auf den Ramblas ruft ein Polizist den Passanten zu: „Vorsicht. Auch heute gibt es Taschendiebe!“
Donnerstag, 17 Uhr: