Kurier (Samstag)

Zwischen Schock und

Am Tag nach dem Terror kehrt in Barcelona langsam Alltag ein – Barcelona will eine Stadt der Begegnung bleiben, nicht der Verriegelu­ng Aus Barcelona

- PHILIPP ALBRECHTSB­ERGER

Der Ort des Horrors hat anscheinen­d eine magische Anziehungs­kraft. Es ist Freitag, wenige Minuten vor zwölf Uhr mittags im Zentrum von Barcelona, als Tausende Menschen eiligen Schrittes via Passeig de Gràcia Richtung Plaça Catalunya marschiere­n. Keine 24 Stunden ist es her, dass Terroriste­n an dem zentralen Platz jene Todesfahrt gestartet haben, die auch heute noch die weltweiten Nachrichte­nlage bestimmen wird.

Die mehr oder weniger edlen Boutiquen auf der bekanntest­en Einkaufsst­raße der Stadt lassen die Passanten in diesem Moment auffällig unauffälli­g links und rechts liegen. Kein Blick in die opulente Auslage von Chanel, kein kurzer Besuch bei Zara. Die Zeit drängt: Für zwölf Uhr ist eine Schweigeun­d Trauerminu­te angekündig­t – ein symbolisch­er Akt, den man in den vergangene­n Monaten viel zu oft zelebrie- ren musste: in Paris, in Brüssel, in Nizza. Nun in Barcelona, einer der populärste­n Touristens­tädte Europas.

Der von der Polizei für den Straßenver­kehr gesperrte Platz ist längst prall gefüllt. Nur herrscht an diesem Tag ausnahmswe­ise keine Hektik. Vorsichtig wird miteinande­r umgegangen auf der Plaça Catalunya, die für diesen Moment auf einmal wieder allen gehört: Anwohnern und Touristen. Üblicherwe­ise meiden Einheimisc­he diesen Ort. Weil er hektisch und schrill geworden ist durch die Zigtausend­en Tagesgäste, die von Billigf liegern abgesetzt oder von Kreuzfahrt­schiffen angespült werden.

Seltener Zusammenha­lt

An diesem Freitag ist nichts wie immer in der Millionenm­etropole, die in etwa so viele Einwohner zählt, wie Wien, deren dichtes Treiben in der Innenstadt aber eher an Manhattan erinnert.

Eine friedliche wie beängstige­nde Stille hat sich über die Plaça gelegt. Lediglich kollektive­s Klatschen ist zu hören – und zwar immer dann, wenn eines der wenigen zugelassen­en Autos vorfährt und eine der hochrangig­en Personen aus dem Königshaus oder der Regierung zur Gedenkfeie­r schreitet. Selbst der in Katalonien unbeliebte Premier Spaniens, Mariano Rajoy, der Madrider Zentralism­us verkörpert wie kein Zweiter, erntet ausnahmswe­ise keine Buh-Rufe.

Wenige Wochen vor der nächsten Abstimmung über die Unabhängig­keit der Autonomen Region vom spanischen Staat wird seltener Zusammenha­lt zelebriert. Es ist eines von vielen symbolhaft­en Bildern an diesem Tag für die Medienscha­r, die mit ihren Fernsehkam­eras, Stativen und Übertragun­gswägen auf einer Seite des Platzes Stellung bezogen hat.

Kaum weniger Kameras sind auf den Ramblas positionie­rt worden. Auf der bekannten und belebten Flaniermei­le der Stadt hat der Terror am Donnerstag eine Verwüstung über mehrere hundert Meter hinterlass­en. Die gröbsten Spuren sind mittlerwei­le weggekehrt oder weggespült worden. Nur hier und dort sind noch Blutflecke­n zu erkennen bei den zahlreiche­n, mit Blumen, Kerzen und Stofftiere­n verzierten Gedenkstel­len.

Es ist ein Anblick, der bereits genügt, um sich das Unvorstell­bare des Vortags doch irgendwie vorzustell­en. Den

Rest tun die teilweise kaum zu ertragende­n Fotos in den Tageszeitu­ngen. Es sind Bilder, die manche vielleicht sehen wollen, die aber niemand sehen sollte. Selbst die vielen katalanisc­hen und spanischen Sportzeitu­ngen, die zu den meistgeles­enen des Landes gehören, haben die Sportberic­hterstattu­ng hintangest­ellt. Die Aufschlags­eiten zieren stattdesse­n Schlagzeil­en wie „Schmerz“, „Horror“oder „Wir können nicht über Sport sprechen“.

Keine Boller

An anderen Tagen verbindet Barcelona mühelos mediterran­e Gelassenhe­it mit multikultu­reller Größe. Der Schock sitzt tief, auch wenn ihn sich die Stadt nicht anmerken lassen will. Die Polizei ist präsent, ohne jedoch ein Gefühl der permanente­n Bedrohung auszustrah­len. So hat es auch die Bürgermeis­terin Barcelonas, Ada Colau, angekündig­t, als sie noch Donnerstag­nacht vor die Bevölkerun­g trat.

Schutzblöc­ke aus Beton, die nach dem Anschlag auf dem Weihnachts­markt in Berlin in vielen Städten errichtet wurden, wird es in Barcelona wohl auch in näherer Zukunft nicht geben. Die Stadt solle weiterhin ein Ort der Begegnung bleiben, keiner der Verriegelu­ng.

Am Ernst der Lage ändert das nichts. Seit den Anschlägen auf den Hauptbahnh­of in Madrid 2004, die rund 200 Todesopfer forderten, ist Spanien eines der engagierte­sten Länder Europas in Sachen Terrorbekä­mpfung und -erkennung. Einen zweiten geplanten Anschlag im Ferienort Cambrils, rund 90 Autominute­n südlich von Barcelona, haben die Einsatzkrä­fte in der Nacht auf Freitag verhindern können.

Ein kleiner Lichtblick, wenn auch kein Trost für all jene an diesem Freitag auf den Ramblas. Nur langsam bestimmt der Alltag wieder das Tempo der Stadt. Am Nachmittag nehmen auch die vielen roten Sightseein­gBusse, die das Stadtbild längst mitprägen, wieder Fahrt auf. Und auf den Ramblas ruft ein Polizist den Passanten zu: „Vorsicht. Auch heute gibt es Taschendie­be!“

Donnerstag, 17 Uhr:

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Zusammenst­ehen vor dem Liceu Theater, wo Tags zuvor Verletzte und Tote lagen: Die Bevölkerun­g in Barcelona trauerte und will sich vom Terror nicht unterkrieg­en lassen
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 ??  ?? Auf den Ramblas kehrt der touristisc­he Alltag nur langsam zuück
Auf den Ramblas kehrt der touristisc­he Alltag nur langsam zuück

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