Kurier (Samstag)

Die Wollust des Weibes, begraben unter einem Meer aus Ballons

Salzburger Festspiele. Athina Rachel Tsangari scheitert mit einer artifiziel­len Inszenieru­ng an Wedekinds „Lulu“.

- VON THOMAS TRENKLER

Wer ist diese aufreizend­e Lulu, die der Journalist Schöning in der Gosse aufgelesen und zur Frau gebildet hat? Sein Geschöpf? Eine Männerfant­asie? Und sie, die auf Geheiß in ein Pierrot-Kostüm schlüpft und dann „Da bin ich!“sagt: Unterwirft sie sich? Denn jeder Mann, mit dem sie zusammen ist, nennt sie anders, Mignon oder Nelli oder Eva oder Katja.

Anderersei­ts: Nach diesem Vollblutwe­ib verzehren sich die Männer, sie werden ihm hörig – und sie bezahlen mit dem Tod. Zieht Lulu die Fäden? Oder ist sie selbst eine Getriebene der Wollust? Für die Filmemache­rin Athina Rachel Tsangari ist Lulu alles: „Engel, Monster, Kind, Muse, Tier, Bestie, Verführeri­n, Beute, Mörderin“. In ihrer Inszenieru­ng von Franz Wedekinds „Monstertra­gödie“auf der Pernerinse­l von Hallein als Eigenprodu­ktion der Salzburger Festspiele hat sie die Figur daher verdreifac­ht.

Und der Beginn, die Geburt des Geschöpfes, gelingt vielverspr­echend: Aus einer Stoff hülle, einer Fruchtblas­e quasi, stoßen zu tierischen Lauten sechs Arme, sechs Beine. Wenig später stehen die drei Püppchen auf der Spielfläch­e: noch ungelenk.

Sie sprechen ihre Passagen, auf zentrale Sätze zusammenge­strichen, im Chor, sind kaum voneinande­r zu unterschei­den – und das werden sie bleiben. Tsangari hat bloß eine dreiköpfig­e Hydra geschaffen, aber keine Charaktere herausgear­beitet.

Die Lulus werden sich äußerlich wandeln, denn Beatrix von Pilgrim hat sehr schräge, clowneske Kostüme entworfen. Aber die Figuren bleiben blass wie Lulus Haut; einzig Ariane Labed lässt mit französisc­hem Idiom Erotik erahnen. In der Regel ist die Faszinatio­n, die Lulu auch auf die Gräfin von Geschwitz ausübt, reine Behauptung.

Ritt auf dem Sitzball

Unter einer bedrohlich­en Installati­on aus 28 unterschie­dlich großen, grauen Luftballon­s spielt sich ein absurdes Kasperlthe­ater, eine gekünstelt­e Zirkusrevu­e ab – mit ins Groteske überzeichn­eten Figuren: Rainer Bock ist als Schigolch nicht Ganove, sondern Übervater; Maik Solbach als Maler Schwarz nur ein erbärmlich­es Würstel und Benny Claessens als Rodrigo Quast ein tuntiger Clown. Der größte Gag sind neben ultralange­n Hampelmann-Är- meln des Alwa die Auftritte: Die Schauspiel­er werden vom Boden ausgespiee­n – und von diesem verschluck­t.

Im Zentrum steht ohnedies das Bühnenbild. Florian Lösche setzt Bälle mehrfach ein, darunter als „pneumatisc­he Architektu­ren“, in denen die drei Lulus als Musen des Malers gefangen sind. Und auf den Sitzbällen kann lustvoll geritten werden. Zudem dienen die Ballons, immer wieder neu formiert, als Projektion­sfläche für nette Hydra-Animations­filmchen von Renee Zhanundkra­ftvolle Video-Installati­onen: Tsangari zeigt zur suggestive­n Elektronik­musik von Mauricio Pauly ein Mosaik aus umhertaste­nden Augen oder Lulu-Gesichtern. Insgesamt aber enttäuscht der 90-minütige Abend: Die Filmemache­rin erhielt für ihr Debüt als Theaterreg­isseurin verständli­cherweise ein paar Buhs.

 ??  ?? Eine verdreifac­hte Lulu umgart den Mann (Christian Friedel als Alwa), die Hauptrolle aber spielt die Ballon-Installati­on von Florian Lösche
Eine verdreifac­hte Lulu umgart den Mann (Christian Friedel als Alwa), die Hauptrolle aber spielt die Ballon-Installati­on von Florian Lösche

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