Die Wollust des Weibes, begraben unter einem Meer aus Ballons
Salzburger Festspiele. Athina Rachel Tsangari scheitert mit einer artifiziellen Inszenierung an Wedekinds „Lulu“.
Wer ist diese aufreizende Lulu, die der Journalist Schöning in der Gosse aufgelesen und zur Frau gebildet hat? Sein Geschöpf? Eine Männerfantasie? Und sie, die auf Geheiß in ein Pierrot-Kostüm schlüpft und dann „Da bin ich!“sagt: Unterwirft sie sich? Denn jeder Mann, mit dem sie zusammen ist, nennt sie anders, Mignon oder Nelli oder Eva oder Katja.
Andererseits: Nach diesem Vollblutweib verzehren sich die Männer, sie werden ihm hörig – und sie bezahlen mit dem Tod. Zieht Lulu die Fäden? Oder ist sie selbst eine Getriebene der Wollust? Für die Filmemacherin Athina Rachel Tsangari ist Lulu alles: „Engel, Monster, Kind, Muse, Tier, Bestie, Verführerin, Beute, Mörderin“. In ihrer Inszenierung von Franz Wedekinds „Monstertragödie“auf der Pernerinsel von Hallein als Eigenproduktion der Salzburger Festspiele hat sie die Figur daher verdreifacht.
Und der Beginn, die Geburt des Geschöpfes, gelingt vielversprechend: Aus einer Stoff hülle, einer Fruchtblase quasi, stoßen zu tierischen Lauten sechs Arme, sechs Beine. Wenig später stehen die drei Püppchen auf der Spielfläche: noch ungelenk.
Sie sprechen ihre Passagen, auf zentrale Sätze zusammengestrichen, im Chor, sind kaum voneinander zu unterscheiden – und das werden sie bleiben. Tsangari hat bloß eine dreiköpfige Hydra geschaffen, aber keine Charaktere herausgearbeitet.
Die Lulus werden sich äußerlich wandeln, denn Beatrix von Pilgrim hat sehr schräge, clowneske Kostüme entworfen. Aber die Figuren bleiben blass wie Lulus Haut; einzig Ariane Labed lässt mit französischem Idiom Erotik erahnen. In der Regel ist die Faszination, die Lulu auch auf die Gräfin von Geschwitz ausübt, reine Behauptung.
Ritt auf dem Sitzball
Unter einer bedrohlichen Installation aus 28 unterschiedlich großen, grauen Luftballons spielt sich ein absurdes Kasperltheater, eine gekünstelte Zirkusrevue ab – mit ins Groteske überzeichneten Figuren: Rainer Bock ist als Schigolch nicht Ganove, sondern Übervater; Maik Solbach als Maler Schwarz nur ein erbärmliches Würstel und Benny Claessens als Rodrigo Quast ein tuntiger Clown. Der größte Gag sind neben ultralangen Hampelmann-Är- meln des Alwa die Auftritte: Die Schauspieler werden vom Boden ausgespieen – und von diesem verschluckt.
Im Zentrum steht ohnedies das Bühnenbild. Florian Lösche setzt Bälle mehrfach ein, darunter als „pneumatische Architekturen“, in denen die drei Lulus als Musen des Malers gefangen sind. Und auf den Sitzbällen kann lustvoll geritten werden. Zudem dienen die Ballons, immer wieder neu formiert, als Projektionsfläche für nette Hydra-Animationsfilmchen von Renee Zhanundkraftvolle Video-Installationen: Tsangari zeigt zur suggestiven Elektronikmusik von Mauricio Pauly ein Mosaik aus umhertastenden Augen oder Lulu-Gesichtern. Insgesamt aber enttäuscht der 90-minütige Abend: Die Filmemacherin erhielt für ihr Debüt als Theaterregisseurin verständlicherweise ein paar Buhs.