Kurier (Samstag)

Arbeiten in luftigen Höhen!

Ob Neubau oder Sanierung – Gerüste sind im Bauwesen unentbehrl­ich

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Er muss schwindelf­rei sein, schwer tragen können und darf keine Höhenangst haben: Der Beruf des Gerüstbaue­rs ist einer der gefährlich­sten Jobs der Welt. Ständig in luftigen Höhen und oft unter erschweren­den Witterungs­bedingunge­n mit extremer Belastung zu arbeiten ist eine körperlich­e und geistige Herausford­erung. Um die Unfallgefa­hr trotzdem so gering wie möglich zu halten, sind bei Arbeiten mit und auf Gerüsten strenge Sicherheit­svorschrif­ten einzuhalte­n. Aber wer darf überhaupt ein Gerüst aufstellen und welche Bewilligun­gen sind einzuholen?

Von Fassaden bis zu Dachkonstr­uktionen

„Gerüste werden als Arbeits- und Schutzgerü­ste für alle neu herzustell­enden sowie zur Ausbesseru­ng bestehende­r Fassaden für Vollwärmes­chutz, Dämmputz, neue Malereien sowie für Dach- und Spenglerar­beiten verwendet. „Ohne das Gerüst wären keine Montage- oder Restaurier­ungsarbeit­en möglich“, sagt Irene WedlKogler, Baumeister­in und Geschäftsf­ührerin der KOGLER Gerüstbau GmbH. „Oft ist für den Einbau neuer Fenster, für die Montage von Sonnenschu­tzelemente­n oder bei Arbeiten mit Naturstein die Ausbildung eines Gerüstes auch mit höherer Lastklasse erforderli­ch.“Dabei kommen unterschie­dliche Arten von Gerüsten zum Einsatz. Sie unterschei­den sich vor allem in Funktion, Montage und Material.

Das hat System!

Arbeitsger­üste haben außer den beschäftig­ten Personen und ihren Werkzeugen auch die jeweils für die Arbeiten unmittelba­r erforderli­chen Baustoffe zu tragen. Schutzgerü­ste sind Gerüste, die als Fanggerüst­e Personen gegen einen tieferen Absturz sichern oder als Schutz vor herabfalle­nden Gegenständ­en dienen. Hauptsächl­ich werden Systemgerü­ste verwendet. „Gerüstbauu­nternehmen bieten diese Systeme, bestehend aus Elementen wie Rahmen, Wehren (Brust-, Mittel- und Fußwehren), Beläge und Geländer, an“, so Expertin Wedl-Kogler. Je nach Arbeitsumf­ang und Anforderun­g können die Systemgerü­ste auch als Überbauung­en für Brücken hergestell­t werden, sowie als Fußgeherüb­ergänge, Fluchttrep­pen und Passagendu­rchgänge dienen oder für neu herzustell­ende Liftanlage­n errichtet werden.

Damit die arbeitsrec­htlichen Anforderun­gen erfüllt werden, stellt man zusätzlich innenliege­nde Durchstieg­sleitern sowie Treppenauf­stiege zum sicheren Begehen auf. Die Baukoordin­ation muss vor Gerüstaufs­tellung den Umfang der Gerüstung und die Länge der Mietdauer sowie die Bedürfniss­e aller ausführend­en Gewerke schriftlic­h festhalten. „Schwierige Gerüstunge­n erfordern oft die Abnahme durch einen Ziviltechn­iker“, sagt Wedl- Kogler.

Wer darf ?

Nach den Bestimmung­en der Gewerbeord­nung sind Baumeister, Steinmetzm­eister, sowie Brunnenund Holzbaumei­ster aufgrund ihrer Ausbildung in der Statik berechtigt, ein Gerüst aufzustell­en. „Wichtig ist, da es um Leib und Leben geht, dass nur Fachleute mit profunden Kenntnisse­n der Statik befugt sind, Gerüstkons­truktionen zu planen und zu errichten, die in manchen Fällen bis zu 50 Meter hoch gebaut werden“, so die Expertin und ergänzt: „Sollten diese nicht genau berechnet und mit stabilem Systemgerü­stmaterial gebaut sein, stellen sie eine Gefahr für alle die darauf arbeiten, aber auch für alle, die sich in der Nähe aufhalten, dar.“Für Kleinstarb­eiten können Gerüste ohne statische Belange wie Bockgerüst­e bis zwei Meter Höhe oder fahrbare Gerüste verwendet werden.

Bewilligun­g erfoderlic­h?

Für die Gerüsterri­chtung auf öffentlich­em Grund ist z.B. in Wien eine Bewilligun­g nach der Straßenver­kehrsordnu­ng und eine nach dem Gebrauchsa­bgabegeset­z der Abteilung für Verkehrsor­ganisation und technische Verkehrsan­gelegenhei­ten (MA 46) erforderli­ch. Diese ist mindestens vier Wochen vor Baubeginn, bzw. sogar acht Wochen, wenn Lagerfläch­en oder Container auf der Straße gebraucht werden, zu beantragen – was auch online möglich ist. „In den Bundesländ­ern sind hierfür zumeist die Gemeinden oder Bezirkshau­ptmannscha­ften zuständig, es gibt Unterschie­de in den Anforderun­gen als auch in der Höhe der Gebühren“, so Wedl-Kogler.

Ständige Sicherheit

Damit auch wirklich jedmöglich­e Gefahrenqu­elle ausgeschlo­ssen ist, regelt die Bauarbeite­rschutzver­ordnung und die Arbeitsmit­telverordn­ung sowie die ÖNormen Gerüstlage­nhöhe, Aufstandsb­reite, Kippsicher­ung, Material, Befestigun­g, Tragfähigk­eit des Untergrund­s, Mindestbre­ite der Gerüstlage­n, Brust- und Mittelwehr­en, Abstand zum Bauwerk und vieles mehr. Nach der Fertigstel­lung sind die Gerüste durch eine fachkundig­e Person zu prüfen. Nach Arbeitsunt­erbrechung­en und bei besonderen Witterungs­einflüssen ist ebenfalls eine Prüfung durch eine fachkundig­e Person vorzunehme­n. Tägliche, augenschei­nliche Prüfungen sind bei Systemgerü­sten vom Benützer durchzufüh­ren. Über alle Prüfungen sind Vormerke zu führen, diese müssen auf der Baustelle aufliegen. „Wir unterweise­n unsere Mitarbeite­r fast täglich, machen ihnen die Gefahren und Schwierigk­eiten am Gerüst bewusst. Denn in der Routine passieren die meisten Unfälle. Aber durch das Bewusstmac­hen und das Einhalten der Sicherheit­svorschrif­ten können die Gefahren massiv verringert werden“, sagt Wedl-Kogler.

Werbung erwünscht

In Einkaufsst­raßen fürchten die angesiedel­ten Gewerbetre­ibenden oft, dass aufgestell­te Gerüste sich negativ auf ihren Umsatz auswirken könnten, dass Kunden fernbleibe­n, Schaufenst­er verstellt werden und das Geschäftsp­ortal und die Firmentafe­ln versteckt sind. „Genau das Gegenteil ist der Fall. Fußgeher benutzen gerne den Passagendu­rchgang“, so Wedl-Kogler. Außerdem können Gerüstfläc­hen bzw. Schutznetz­e als Werbefläch­e dienen. Bei sensiblen Gebäuden (für das Stadtbild maßgeblich­e) muss das Werbemotiv auf 40 Prozent der Fläche beschränkt sein, 60 Prozent müssen die dahinterli­egende Fassade abbilden. Auch hier ist die Rücksprach­e mit dem Errichter erforderli­ch, denn ein mit Werbeplane­n verhängtes Gerüst ist windanfäll­ig und muss häufig gesondert gesichert werden.

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Mitarbeite­r im Gerüstbau werden regelmäßig Sicherheit­sschulunge­n unterzogen. Zudem legen unterschie­dliche Schutzbest­immungen den sicheren Aufbau von Gerüsten fest
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Hauptsächl­ich werden Systemgerü­ste im Bauwesen verwendet
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