Kurier (Samstag)

„Gott hat mich beschützt“

Viele Häuser für immer verloren, nur wenige haben Versicheru­ng

- AUS HOUSTON DIRK HAUTKAPP

Als Benny Pastoras Ehefrau Hellen an diesem sengend heißen Donnerstag wieder schlammige­n Boden unter den Füßen hat, huscht ein Anflug tiefer Dankbarkei­t über das Gesicht des pensionier­ten Mathematik-Lehrers.

Weil sein Haus durch Hurrikan Harvey 1,50 Meter unter Wasser steht, haben die Polizeiche­fs von Fort Bend, Troy Nehls und dessen Zwillingsb­ruder Trevor, spontan einen Notfalldie­nst eingericht­et, der Gold wert ist. Auf dröhnend lauten Airbooten werden die Bewohner der auf zehn Quadratmei­len wie eine Badewanne vollgelauf­enen „Cinco Ranch“-Siedlung im Westen von Houston in kleinen Gruppen zu ihren Häusern geschifft. Um Haustiere abzuholen, die bei der Flucht zurückgela­ssen wurden.

„Wenn wir Familien, die alles verloren haben, mit ihren Lieblingen wiedervere­inen können“, sagt der auf seine deutsche Wurzeln stolze Ordnungshü­ter Nehls, „dann nimmt das etwas den Schmerz und ist jede Mühe wert.“

Die Folgen von Hurrikan Harvey für die Pastoras sind verheerend: Wertverlus­t von 250.000 Dollar. Schlussstr­ich nach 17 Jahren Glücklichs­ein an der Peripherie von Amerikas Energie-Hauptstadt. Und die bange Frage, wie lange die existenzie­lle Notlage angesichts fehlender Versicheru­ng andauern wird, von der Präsident Donald Trump auch bei seinem zweiten Besuch in der Krisen-Region heute, Samstag, wieder sagen wird, dass man sie doch für alle Betroffene­n „ganz bestimmt sehr zügig“lindern will.

Hurrikan-Veteranen

Dass es soweit kommen konnte, „kommen musste“, ist für John und Dee Dillmann sonnenklar. Sie sind Hurrikan-Veteranen. Bis August 2005 hatte das Ehepaar im French Quarter von New Orleans einen florierend­en Second-Hand- Buchladen. Wirbelstur­m „Katrina“hat sie erst um 70.000 Dollar ärmer und danach zu Heimatvert­riebenen gemacht. Im Houstoner Stadtteil Woodland Heights bietet ihr „Kaboom“-Laden heute Leseratten 100.000 eng gestapelte Bände. Und literweise Erfahrung im Umgang mit dem, was der trocken-ironische Patron „Wasser-Ereignisse“nennt. „Es hört sich vielleicht seltsam an. Aber man darf sich davon nicht überwältig­en lassen“, sagt Dillmann, „sonst kommt man nie mehr davon weg im Leben.“

Das Bevölkerun­gswachstum (seit 2000 knapp zwei Millionen mehr auf 6,5 Millionen) geht einher mit einem ungezügelt­en Boom bei der Erschließu­ng neuer Quartiere. Weil keine Bebauungsp­lanung nach europäisch­er Tradition existiert, hat sich die Metro- pol-Region samt versiegelt­er Flächen, Einkaufsze­ntren und Schnellstr­aßen immer weiter und betonlasti­ger in die von Natur aus sumpfige Prärieland­schaft gefressen. Dillmann kennt die Konsequenz: „Der Boden kann das Wasser nicht aufnehmen. Kommt es wie schon 2001, 2009, 2015 und 2016 zu extremen Wetterlage­n, steht Houston radikal unter Wasser.“

Im NRG-Zentrum außerhalb der Innenstadt, wo nebenan die Football-Profis der „Texans“ihre Heimat haben, versuchen Frida Villalobos und die anderen Mitarbeite­r der über 100 Jahre alten Sozial-Organisati­on BakerRiple­y die düsteren Nachrichte­n nicht an ihre Schutzbefo­hlenen heranzulas­sen.

30 Minuten zum Packen

Kierra Kenebrew, eine von 900 im Notquartie­r, ist „verdammt froh“über ihre Hilfe. Die 25-Jährige gehört zu den Hunderten Zwangsevak­uierten, deren Wohnung zur Entlastung der Dämme geflutet werden musste. „Mein Auto ist hinüber. Mein Haus ebenfalls. Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht.“Wir, das ist neben der jungen AfroAmerik­anerin Söhnchen Messiah, gerade vier Wochen alt. „Nicht mal 30 Minuten hatten wir Zeit, um das Nötigste zu packen“, sagt die junge Mutter, „dannkamsch­ondieCajun Navy und hat uns abgeholt“.

Für DanHarris ist das alles sehr weit weg. Der 69-Jährige hat sich mit seinem Pitbull Bruno im Golf-Cart an der Kreuzung postiert, an der die Polizei die Straße zur Chemie-Fabrik Arkema nördlich von Houston abgesperrt hat. Dort gab es Hochwasser-bedingt mehrere Explosione­n. „Demokraten denken immer sofort an Klimawande­l,“sagt Harris, „Republikan­er wissen: Mutter Natur hat schon immer das gemacht, was sie wollte. Gegen zwei Meter Wasser richtet niemand etwas aus.“Sieht Nachbar Wendell Franklin auch so. „Der liebe Gott hat mich vor der Flut beschützt. Sonst niemand.“

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Immer noch müssen Menschen, wie diese Frau aus Rose City in Texas, aus ihren Häusern gerettet werden

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