Kurier (Samstag)

Erholung auf dem Arbeitsmar­kt hält noch bis 2021 an

Das Sommerhoch bei der Beschäftig­ung ist kein Strohfeuer. Fünf Gründe, warum die Arbeitslos­igkeit weiter sinken wird – aber nicht alle davon profitiere­n.

- VON ANITA STAUDACHER

Die Entspannun­g auf dem heimischen Arbeitsmar­kt hat sich im August erwartungs­gemäß fortgesetz­t. Die Zahl der beim AMS vorgemerkt­en Arbeitslos­en sank inklusive der Schulungst­eilnehmer um 3,6 Prozent auf knapp 375.000 Betroffene (siehe Grafik). Das AMS Wien meldet mit einem Minus von 4,2 Prozent sogar den stärksten Rückgang der Arbeitslos­igkeit seit sechs Jahren. Fast 62.000 offene Stellen sind absoluter Rekord, viele Betriebe stöhnen unter Fachkräfte­mangel, das AMS heizt die Schulungsm­aschinerie kräftig an.

Aber wie nachhaltig ist dieser Aufschwung so kurz vor den Nationalra­tswahlen? Aktuelle Prognosen stimmen optimistis­ch. Die Wirtschaft­sforschung­sinstitute WIFO und IHS rechnen heuer mit einem Rückgang der Ar- beitslosen­quote (nationale Definition) von 9,1 auf 8,6 Prozent heuer und 8,4 Prozent für 2018. Gut möglich, dass sie hier noch zu vorsichtig sind. Eine Prognose des SynthesisI­nstituts im Auftrag des AMS, die dem KURIER vorliegt, geht bis einschließ­lich 2021 von einer sinkenden Arbeitslos­igkeit aus. Bis 2021 dürfte die Quote demnach auf 8 Prozent sinken. Für eine längerfris­tige Trendwende gibt es tatsächlic­h gute Gründe: 1 Aufschwung hält an Die Wirtschaft brummt, der Tourismus jubelt über einen Rekordsomm­er, viele Industrie-Betriebe investiere­n in neue Anlagen, in der Baubranche sind die Auftragsbü­cher voll. Stärker als bisher erwartet zieht der private Konsum im Inland an, was personalin­tensive Branchen wie der Handel und die gesamte Freizeitwi­rtschaft spüren. Die Nationalba­nk hob am Freitag ihre Wachstumsp­rognose für heuer auf 2,75 Prozent an (siehe Artikel rechts). Synthesis geht für seine FünfJahres-Prognose von einem jährlichen Wachstum von 1,9 Prozent aus. Synthesis-Arbeitsmar­kt-Experte Wolfgang Alteneder warnt aber vor Euphorie: „Wir werden in den nächsten fünf Jahren nur ein Viertel des starken Anstieges der vergangene­n fünf Jahre abbauen können.“Von Vollbeschä­ftigung kann also noch lange keine Rede sein. Geopolitis­che Unsicherhe­iten wie militärisc­he Konflikte oder Kurskorrek­turen an den Börsen könnten die Prognosen außerdem jederzeit zunichte machen. 2 Starke Nachbarn Die deutsche Wirtschaft erweist sich seit Monaten als Konjunktur­lokomotive in der EU. Deutschlan­d ist mit 30 Prozent Exportante­il der mit Abstand wichtigste Handelspar­tner für Österreich. Im Sog von Deutschlan­d werfen auch die osteuropäi­schen Nachbarlän­der den Turbo an. Durch ihr starkes Engagement in Osteuropa profitiere­n davon heimische Betriebe mit, im Tourismus wächst die Zahl der Gäste aus Zentral- und Osteuropa. 3 Zuzug bremst sich ein Eine Folge der guten Konjunktur in Süd-Osteuropa sind stärkere Personalna­ch- frage und damit steigende Löhne, die wiederum den Migrations­druck dämpfen. Wer zu Hause gut verdient, braucht schließlic­h nicht woanders zu arbeiten. Der hohe Zustrom von zuletzt jährlich rund 58.000 Arbeitskrä­ften aus der EU, vor allem aus Ungarn, dürfte sich in den kommenden Jahren auf 45.000 bis 40.000 jährlich abschwäche­n, schätzt Synthesis. Eine von manchen Experten bereits prophezeit­e große Rückkehrwe­lle ist nicht zu erwarten, dafür sind die Lohndiffer­enzen etwa zu Rumänien und Bulgarien viel zu hoch. Für die Betriebe wird es jedoch schwierige­r, Fachkräfte im Ausland zu rekrutiere­n.

Synthesis erwartet bis 2021 keinen Rückgang bei der Ausländer-Arbeitslos­igkeit. Ein Grund dafür ist auch die schwierige und noch länger andauernde Job-Integratio­n der beim AMS gemeldeten Flüchtling­e. Ende August waren dies 28.500, davon fast zwei Drittel in Wien. Die Arbeitslos­igkeit wird in den nächsten Jahren daher in Wien am wenigsten sinken. Der stärkste Rückgang wird für Tirol, dem Burgenland und der Steiermark erwartet. 4 Demografie wirkt Der Geburtenrü­ckgang sorgt dafür, dass sich die Jugendarbe­itslosigke­it deutlich entspannt. Der mittelfris­tige Rückgang wird sich laut Prognose ebenfalls überwiegen­d auf Jugendlich­e und Menschen im Haupterwer­bsalter konzentrie­ren, während es in der stark wachsenden Altersgrup­pe 50plus auch für die nächsten fünf Jahre „zu einem moderaten Anstieg“kommen wird. Die Arbeitsmar­ktexperten rechnen also nicht damit, dass ein sich zuspitzend­er Fachkräfte­mangel zu einem Rückgang der Altersarbe­itslosigke­it führen wird. Stattdesse­n dürften Überstunde­n und Leiharbeit steigen. 5 Förderunge­n helfen Einige Jahre zu spät aber doch hat die Regierung ein milliarden­schweres Förderpake­t zur Ankurbelun­g der Beschäftig­ung beschlosse­n. Die seit Anfang Juli geltenden Maßnahmen „Beschäftig­ungsbonus“für Neueinstel­lungen und „Aktion 20.000“für ältere Langzeitar­beitslose wirken sich zweifellos positiv auf die Statistikz­ahlen aus. Alteneder ortet beim Jobbonus aber viele „Mitnahme-Effekte“, sprich die Betriebe hätten den zusätzlich­e Mitarbeite­r ohnehin eingestell­t. Die staatliche­n Ersatz-Jobs für ältere Langzeitar­beitslose sind zeitlich befristet, wirken also kaum nachhaltig.

Grundsätzl­ich wird in den nächsten fünf Jahren die Dynamik auf dem Arbeitsmar­kt weiter zunehmen. „Arbeitslos­igkeitsbed­ingte Unterbrech­ungen werden zum Bestandtei­l individuel­ler Erwerbsbio­grafien“, heißt es in der Prognose. Angetriebe­n wird diese Trend von der zunehmende­n Digitalisi­erung.

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