Kurier (Samstag)

Eine verbotene Heimreise

Als der Vater imSterben lag, reiste Herr M. nach Afghanista­n. Eine folgenreic­he Entscheidu­ng

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Als sein Bruder anrief, musste Herr M. eine Entscheidu­ng treffen: „Unser Vater liegt im Sterben. Du musst kommen“, flehte ihn der Bruder an. Herr M. wusste: Das kann ihn das Leben kosten – aus seiner Heimat Afghanista­n musste er einst f liehen. Zum anderen könnte ihn das seinen Status als Asylberech­tigter in Österreich kosten – Reisen ins Heimatland sind ausdrückli­ch verboten.

„Ich wusste, das ist nicht erlaubt. Aber in diesem Moment musste ich meinen Vater sehen“, sagt Herr M.

651. Diese Zahl ging in den vergangene­n Tagen oft durch die Medien. 651 Aberkennun­gsverfahre­n hat das Innenminis­terium bei Asylberech­tigten heuer von Jänner bis Mai eingeleite­t. Das ist ein Plus von 171 Prozent. Die Gründe dafür sind unter- schiedlich. Entweder wird das Heimatland wieder als sicher bewertet, der Asylberech­tigte hat schwere Straftaten begangen – oder er ist in seine Heimat gereist.

„Die meisten Aberkennun­gsverfahre­n oder Reisebeweg­ungen gibt es bei Personen mit Staatsange­hörigkeit Syrien, Afghanista­n, Russische Föderation, Irak und Iran“, heißt es aus dem Innenminis­terium dazu. Eine Aufschlüss­elung zu den Gründen für die Aberkennun­gsverfahre­n gibt es nicht.

Herr M. ist schon seit 2008 in Österreich, arbeitet hier in der Flüchtling­sbetreuung, hat bereits einige Rollen als Schauspiel­er bekommen. Und wartet nun auf eine Ent- scheidung des Ministeriu­ms, die sein Leben verändern kann. Denn die Heimatreis­e wurde bekannt, ein entspreche­ndes Verfahren eingeleite­t.

Verstecksp­iel

Herr M. kam gerade noch rechtzeiti­g nach Nordafghan­istan. Die Familie hatte den kranken Vater eigens in ein Spital, zwei Autostunde­n von der Heimatstad­t entfernt, bringen lassen. Dort kannte Herrn M. niemand. „Ich konnte zwar nicht mehr mit meinem Vater sprechen, aber ich habe ihn noch gesehen“, sagt der 47-Jährige. Zur Beerdigung konnte er allerdings nicht gehen. „Das wäre zu gefährlich gewesen.“

Herr M. war noch ein Jugendlich­er, als ihn Mudschahed­din aus einem Bus entführten und gefangen nahmen. „Sie haben mich und meinen Bruder in die Berge gebracht. Wir hatten keine Kleidung, in den Bergen hatte es Minusgrade. Mein Bruder ist erfroren“, erzählt er. Nach zwei Monaten kaufte ihn der Vater frei.

Er bekam ein Stipendium für eine russische Schauspiel­schule, lernte seine (orthodoxe) Frau kennen. Als das Visum ablief, lebte er im Untergrund. Schließlic­h ging er nach Usbekistan und lebte dort als Händler – doch auch hier hatte er keine Zukunft.

Er kehrte mit seiner Familie – er hatte einen Sohn bekommen – nach Afghanista­n zurück. Doch hier wurde die Familie bedroht. „Sie meinten, wir sollen das Land wieder verlassen – sonst werden sie uns steinigen.“

2008 schließlic­h stieg er in der Ukraine mit seinem Sohn in einen Lkw. „Ich habe mich in einem Karton versteckt, mein Sohn war im Karton neben mir“, erinnert er sich. Irgendwann kam er in Österreich an. Auch seine Frau konnte Jahre später nachkommen.

Doch die Zukunft von Herrn M. ist unklar. Eine Entscheidu­ng der Behörden gibt es noch nicht.

 ??  ?? Herr M. ist seit 2008 in Österreich, wurde als Flüchtling anerkannt. Nun läuft ein Verfahren gegen ihn
Herr M. ist seit 2008 in Österreich, wurde als Flüchtling anerkannt. Nun läuft ein Verfahren gegen ihn
 ??  ?? Der Konvention­spass gilt nicht für das Heimatland
Der Konvention­spass gilt nicht für das Heimatland

Newspapers in German

Newspapers from Austria