Warnung vor Stammzell-Therapien
Die regenerative Medizin weckt viele Erwartungen – das nützen skrupellose Anbieter oft aus
Es ist fantastisch: Adulte Stammzellen regenerieren und erneuern den menschlichen Körper. Sie gelten als Wunderzellen, die die Behandlung vieler Krankheiten revolutionieren könnten. Das ist mit großen Erwartungen verknüpft. Derzeit wird weltweit eine Vielzahl experimenteller Behandlungen im Rahmen klinischer Studien erprobt – das ist für Patienten kostenlos undsicher. Aber noch ist die wissenschaftliche Datenbasis unzureichend, es braucht weiterhin Forschung, um die Risiken und Wirkungen zu klären.
Dennoch steigt die Zahl dubioser Therapien mit solchen Zellen, bei denen Pati-
Univ.-Prof. Heinz Redl
Leiter LBI Trauma
enten viel Geld abgeknöpft wird. Sie wurden weder genehmigt noch ist deren Wirkung bewiesen. Jetzt will die Food and Drug Administration FDA, die US-amerikanische Gesundheitsbehörde, skrupellosen Stammzellenkliniken das Handwerk legen. Die Agentur berichtete von einer Aktion gegen zwei große Institutionen undeiner Biotech-Firma, die mit regenerativer Medizin Geschäfte machen und von der Not der Patienten profitieren wollen. Die Firmen haben Fett aus dem Bauch von Patienten abgesaugt, Stammzellen daraus extrahiert und diese dann gegen diverse Leiden eingesetzt – von Herzkrankheiten über Knieschmerz, Asthma, neurologische Leiden bis hin zu Krebs. Dafür wurden an die 9.000 US-Dollar verlangt. Vergangenen September ist eine 77-Jährige, die an Makula-Degeneration leidet, erblindet, nachdem ihr Stammzellen in beide Augen injiziert wurden.
Dubiose Therapien
Trotzdem es in Europa strengere Regularien gebe, werden auch hier dubiose Behandlungen angeboten. Schicke Webseiten im Internet werben mit Stammzellen als Wunderheilmittel gegen fast alles. Oder für die ewige Jugend. Das ist in einen Stammzell-Tourismus ausgeartet. „Schwerkranken wird Hoffnung gemacht, die auf nichts begründet ist“, sagt Univ.-Prof. Heinz Redl vom Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie, einer der weltweit führenden Einrichtungen, die sich mit Geweberegeneration und Gewebezüchtung befasst. Hier wird etwa erforscht, wie Stammzellen (mesenchymale Stammzellen) für die Regeneration von Knorpel eingesetzt werden können.
Gepfuscht wird laut Bundesagentur für Sicherheit im Gesundheitswesen auch in Österreich. Im vergangenen Jahr kam es zum ersten rechtskräftigen Straferkenntnis gegen einen österreichischen Arzt und seine „experimentelle“Behandlung. Er hatte gemeinsam mit ausländischen Kollegen ein Behandlungskonzept mit nicht zugelassenen, zweifelhaften Zelltherapien angeboten. Die Herstellung der Präparate erfolgte in nicht bewilligten, nicht kontrollierten Laboren im Ausland.
Schein-Wirkung
Häufig sind es Schönheitskliniken, die solche Wunderkuren anbieten, „wo etwa Körperfett entnommen und dann im einfachsten Fall irgendwo anders hineingespritzt wird. Etwa ins Daumengelenk, gegen Arthrose. Dabei hat sich gezeigt, dass die Wirkung meist nicht auf die Zelltherapie, sondern einfach auf den Schmier-Effekt zurückzuführen ist. Fälle wie diese gibt es in Privatkliniken, aber auch in Spitälern. Daher haben wir schon entsprechende Anzeigen machen müssen“, sagt Christoph Baumgärtel von der AGES Medizinmarktaufsicht. Der zentrale Punkt: Wenn manStammzellen entnimmt, dürfen sie nicht manipuliert oder grundlegend in ihrer Funktion verändert werden. „Geschieht das doch, handelt es sich um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel – damit ist man im Be- reich der ATMP. „Das sind Advanced Therapy Medicinal Products im Bereich Zelltherapeutika, wo umfassende Auflagen erfüllt werden müssen, um eine Zulassung zu bekommen“, sagt Baumgärtel. Dies sei aufwendig und teuer, also für Ärzte kaum zu erbringen.
„Deshalb wird oft aus Nichtwissen, manchmal auch ganz bewusst, der gesetzliche Aspekt – heißt: Zulassung sowie Nachweis der Sicherheit undWirksamkeit – ausgeblendet. Man könnte auch sagen, er wird von manchen Anwendern völlig negiert“, so Baumgärtel.
„Schwerkranken wird Hoffnung gemacht, die auf nichts begründet ist.“
Jungbrunnen
Ein verlockendes Geschäftsfeld sind Stammzell-Liftings – Verjüngungen mit Stammzellen. Das Angebot ist so unübersichtlich wie groß.
„Das auf eine solide, wissenschaftliche Basis zu stellen, ist in diesem Bereich besonders wichtig“, sagt Redl. Er verweist auf Anbieter, die mit Stammzellen schon länger herumspritzen, aber teilweise nicht wissen, was sie tun. Redl selbst arbeitet mit der Wiener Dermatologin Hajnal Kiprov (siehe Kasten unten) zusammen, weil die ästhetische Medizin für ihn in vielerlei Hinsicht interessant: „Für mich ist die ästhetische Medizin ein schönes Beispiel, um zu sehen, ob man Stammzellen etwa auch bei schlecht heilenden Wunden oder in Trauma-Situationen einsetzen könnte.“In Österreich gebe es allerdings nur eine Handvoll Experten, die mit dem Thema seriös umgehen, vielfach werden arme Patienten ausgenutzt und missbraucht, weshalb sich Redl sorgt, dass Stammzellen in Verruf kommen könnten. Er arbeitet mit klinischen Kollegen mit der AGES Medizinmarktaufsicht an Richtlinien für Ärzte, auf Basis der vorhandenen Gesetze.
Redl und Kiprov sind überzeugt, dass die regenerative Medizin die Medizin der Zukunft ist, auch in der Ästhetik. Gemeinsam wurde die Firma „Liporegena“gegründet, die auf die Gewinnungregenerativer Zellen (Stammzellen, Blutgefäß- und Bindegewebszellen) spezialisiert ist. Interessenten wird künftig auch die Möglichkeit geboten, ihre regenerativen Zellen als eine Art „Bioversicherung“für die Zukunft einzulagern.