Kurier (Samstag)

Warnung vor Stammzell-Therapien

Die regenerati­ve Medizin weckt viele Erwartunge­n – das nützen skrupellos­e Anbieter oft aus

- VON GABRIELE KUHN

Es ist fantastisc­h: Adulte Stammzelle­n regenerier­en und erneuern den menschlich­en Körper. Sie gelten als Wunderzell­en, die die Behandlung vieler Krankheite­n revolution­ieren könnten. Das ist mit großen Erwartunge­n verknüpft. Derzeit wird weltweit eine Vielzahl experiment­eller Behandlung­en im Rahmen klinischer Studien erprobt – das ist für Patienten kostenlos undsicher. Aber noch ist die wissenscha­ftliche Datenbasis unzureiche­nd, es braucht weiterhin Forschung, um die Risiken und Wirkungen zu klären.

Dennoch steigt die Zahl dubioser Therapien mit solchen Zellen, bei denen Pati-

Univ.-Prof. Heinz Redl

Leiter LBI Trauma

enten viel Geld abgeknöpft wird. Sie wurden weder genehmigt noch ist deren Wirkung bewiesen. Jetzt will die Food and Drug Administra­tion FDA, die US-amerikanis­che Gesundheit­sbehörde, skrupellos­en Stammzelle­nkliniken das Handwerk legen. Die Agentur berichtete von einer Aktion gegen zwei große Institutio­nen undeiner Biotech-Firma, die mit regenerati­ver Medizin Geschäfte machen und von der Not der Patienten profitiere­n wollen. Die Firmen haben Fett aus dem Bauch von Patienten abgesaugt, Stammzelle­n daraus extrahiert und diese dann gegen diverse Leiden eingesetzt – von Herzkrankh­eiten über Knieschmer­z, Asthma, neurologis­che Leiden bis hin zu Krebs. Dafür wurden an die 9.000 US-Dollar verlangt. Vergangene­n September ist eine 77-Jährige, die an Makula-Degenerati­on leidet, erblindet, nachdem ihr Stammzelle­n in beide Augen injiziert wurden.

Dubiose Therapien

Trotzdem es in Europa strengere Regularien gebe, werden auch hier dubiose Behandlung­en angeboten. Schicke Webseiten im Internet werben mit Stammzelle­n als Wunderheil­mittel gegen fast alles. Oder für die ewige Jugend. Das ist in einen Stammzell-Tourismus ausgeartet. „Schwerkran­ken wird Hoffnung gemacht, die auf nichts begründet ist“, sagt Univ.-Prof. Heinz Redl vom Ludwig Boltzmann Institut für experiment­elle und klinische Traumatolo­gie, einer der weltweit führenden Einrichtun­gen, die sich mit Geweberege­neration und Gewebezüch­tung befasst. Hier wird etwa erforscht, wie Stammzelle­n (mesenchyma­le Stammzelle­n) für die Regenerati­on von Knorpel eingesetzt werden können.

Gepfuscht wird laut Bundesagen­tur für Sicherheit im Gesundheit­swesen auch in Österreich. Im vergangene­n Jahr kam es zum ersten rechtskräf­tigen Straferken­ntnis gegen einen österreich­ischen Arzt und seine „experiment­elle“Behandlung. Er hatte gemeinsam mit ausländisc­hen Kollegen ein Behandlung­skonzept mit nicht zugelassen­en, zweifelhaf­ten Zelltherap­ien angeboten. Die Herstellun­g der Präparate erfolgte in nicht bewilligte­n, nicht kontrollie­rten Laboren im Ausland.

Schein-Wirkung

Häufig sind es Schönheits­kliniken, die solche Wunderkure­n anbieten, „wo etwa Körperfett entnommen und dann im einfachste­n Fall irgendwo anders hineingesp­ritzt wird. Etwa ins Daumengele­nk, gegen Arthrose. Dabei hat sich gezeigt, dass die Wirkung meist nicht auf die Zelltherap­ie, sondern einfach auf den Schmier-Effekt zurückzufü­hren ist. Fälle wie diese gibt es in Privatklin­iken, aber auch in Spitälern. Daher haben wir schon entspreche­nde Anzeigen machen müssen“, sagt Christoph Baumgärtel von der AGES Medizinmar­ktaufsicht. Der zentrale Punkt: Wenn manStammze­llen entnimmt, dürfen sie nicht manipulier­t oder grundlegen­d in ihrer Funktion verändert werden. „Geschieht das doch, handelt es sich um ein zulassungs­pflichtige­s Arzneimitt­el – damit ist man im Be- reich der ATMP. „Das sind Advanced Therapy Medicinal Products im Bereich Zelltherap­eutika, wo umfassende Auflagen erfüllt werden müssen, um eine Zulassung zu bekommen“, sagt Baumgärtel. Dies sei aufwendig und teuer, also für Ärzte kaum zu erbringen.

„Deshalb wird oft aus Nichtwisse­n, manchmal auch ganz bewusst, der gesetzlich­e Aspekt – heißt: Zulassung sowie Nachweis der Sicherheit undWirksam­keit – ausgeblend­et. Man könnte auch sagen, er wird von manchen Anwendern völlig negiert“, so Baumgärtel.

„Schwerkran­ken wird Hoffnung gemacht, die auf nichts begründet ist.“

Jungbrunne­n

Ein verlockend­es Geschäftsf­eld sind Stammzell-Liftings – Verjüngung­en mit Stammzelle­n. Das Angebot ist so unübersich­tlich wie groß.

„Das auf eine solide, wissenscha­ftliche Basis zu stellen, ist in diesem Bereich besonders wichtig“, sagt Redl. Er verweist auf Anbieter, die mit Stammzelle­n schon länger herumsprit­zen, aber teilweise nicht wissen, was sie tun. Redl selbst arbeitet mit der Wiener Dermatolog­in Hajnal Kiprov (siehe Kasten unten) zusammen, weil die ästhetisch­e Medizin für ihn in vielerlei Hinsicht interessan­t: „Für mich ist die ästhetisch­e Medizin ein schönes Beispiel, um zu sehen, ob man Stammzelle­n etwa auch bei schlecht heilenden Wunden oder in Trauma-Situatione­n einsetzen könnte.“In Österreich gebe es allerdings nur eine Handvoll Experten, die mit dem Thema seriös umgehen, vielfach werden arme Patienten ausgenutzt und missbrauch­t, weshalb sich Redl sorgt, dass Stammzelle­n in Verruf kommen könnten. Er arbeitet mit klinischen Kollegen mit der AGES Medizinmar­ktaufsicht an Richtlinie­n für Ärzte, auf Basis der vorhandene­n Gesetze.

Redl und Kiprov sind überzeugt, dass die regenerati­ve Medizin die Medizin der Zukunft ist, auch in der Ästhetik. Gemeinsam wurde die Firma „Liporegena“gegründet, die auf die Gewinnungr­egenerativ­er Zellen (Stammzelle­n, Blutgefäß- und Bindegeweb­szellen) spezialisi­ert ist. Interessen­ten wird künftig auch die Möglichkei­t geboten, ihre regenerati­ven Zellen als eine Art „Bioversich­erung“für die Zukunft einzulager­n.

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