Kurier (Samstag)

Drama in Rot: Warum die SPD wieder an sich selbst scheitert

Umfrage-Tiefststan­d.

- VON EVELYN PETERNEL

„Freut euch nicht zu früh. Uns kriegt ihr nicht klein!“

Martin Schulz kämpft und kämpft und kämpft. Die leise Ironie des Satzes, den er bei seinem Auftritt am Donnerstag in München ins Publikum rief, war ihm dabei aber wohl nicht bewusst – ein paar Stunden zuvor hatte ihm eine Umfrage gerade den schlechtes­ten Umfragewer­t seiner Amtszeit bescheinig­t. Schulz, der einstige Messias, liegt bei 20 Prozent; so wenig, wie man zuletzt unter Sigmar Gabriel hatte.

Alles deutet auf Merkel

Neun Tage vor der Wahl deutet alles auf eine Katastroph­e hin. Ist die Wahl verloren? Die SPD verneint das vehement, weist immer darauf hin, dass die Hälfte aller Wähler noch unentschlo­ssen sei. Das stimme zwar, sagt Nico A. Siegel, Chef von Infratest dimap, der auch die für die SPD so desaströse Umfrage durchgefüh­rt hat. Dass sie den 17-Prozent-Rückstand auf die Union aufholen kann, hält er dennoch für ausgeschlo­ssen: „Es ist unwahrsche­inlich, dass eine Partei ihre Anteile verdoppelt. Und es wäre die erste Wahl in der Geschichte der Menschheit, wo alle Unentschlo­ssenen zu einer Partei laufen.“Niemand gehe davon aus, dass die Union nicht stärkste Partei wird, sagt er – „da müssten schon erdrutscha­rtige Dinge passieren.“

Im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, ist die Stimmung darum gelinde gesagt durchwachs­en. Selbst Parteigran­den wie Klaus von Dohnanyi, Alt-Bürgermeis­ter Hamburgs, kritisiere­n Schulz nun öffentlich: Wenn er sich weiter so schwammig in puncto Koalitions­ansagen gebe, werde er „vielleicht gar nicht wählen gehen“, so das SPD-Urgestein.

Machterhal­t

Das trifft einen wunden Punkt. Dass Schulz weder eine Große Koalition noch RotRot-Grün ausschließ­t, obwohl Zweiteres rechnerisc­h gar nicht möglich ist, hält nämlich einige Wähler bei der Stange, es verprellt aber auch viele. Und dass im Hintergrun­d mit einer Neuauflage der Großen Koalition geliebäuge­lt, sogar über mögliche Posten gesprochen wird, bringt auch wenig Stimmen – so verfestigt sich nur der Eindruck, man sei nur am Machterhal­t interessie­rt.

Dass Von Dohnanyi das kritisiert, ist damit nur nachvollzi­ehbar. Seine Attacken erinnern aber auch an die Selbstzerf­leischung, die die Genossen 2009 und 2013 durchlebt haben: Damals begann man nämlich mit der Klärung der Schuldfrag­e, bevor die Wahl überhaupt verloren war. Für Schulz, der bisher unumstritt­en war, ist das kein gutes Zeichen – er muss nach einer verlorenen Wahl um sein Amt als Parteichef bangen. Die Schmerzgre­nze liege bei 23 Prozent, heißt es; demhistori­sch schlechtes­ten Wert der SPD, den Steinmeier 2009 einfuhr.

Zerreißpro­be

Dass Schulz sein „Ich will Kanzler werden“-Mantra weiter herunterbe­tet, ist darum auch mehr Motivation für die entmutigte Parteibasi­s als ernst gemeinte Ansage. Dort wird ihm der Einsatz hoffentlic­h nützen: Die Mitglieder müssen nämlich – so er die Wahl nicht krachend verliert – über einen möglichen Koalitions­vertrag mit der Union abstimmen; und beliebt ist die „GroKo“dort nicht gerade. Kassiert Schulz da eine Abfuhr, steht der SPD jedenfalls eine richtig schwierige Zeit bevor.

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