Kurier (Samstag)

„Für uns in der Türkei ist Crossover kein Schimpfwor­t“

Kammermusi­k. Das Borusan Quartett besticht mit einer CD.

- VON GERT KORENTSCHN­IG

Kammermusi­k – das ist für viele Musikliebh­aber (und auch Musiker) die Königsklas­se. Kammermusi­k – das ist jedoch im Konzertall­tag auch schwierig zu verkaufen, davon wissen Veranstalt­er ein Lied zu singen.

In der Türkei, wo klassische Kammermusi­k nicht die größte Tradition hat, verhält es sich anders. „Schon im Dezember bekommen die Menschen keine Karten mehr für unsere Konzerte im April. Alles ist ausverkauf­t.“Das sagt Esen Kıvrak, der Erste Geiger des Borusan Quartetts, das nun (nach drei Tönträgern mit türkischen Firmen) seine erste CD bei einem internatio­nalen Label (Onyx) eingespiel­t hat. Zu hören sind Werke von Arvo Pärt, Philip Glass, Pĕteris Vasks und Hasan Uçarsu. Gespielt wird verdammt gut.

Borusan ist ein türkischer Großkonzer­n, der viel Geld in klassische Musik investiert, das Borusan Philharmon­ic Orchestra finanziert (dieses gastiert am 23. Oktober mit seinem Chefdirige­nten Sascha Goetzel im Musikverei­n), seit 2010 auch das Borusan Quartett unterstütz­t sowie ein InternetRa­dio mit Klassik betreibt.

„Wir sind in der Türkei das Quartett mit den besten Möglichkei­ten“, erzählt Kıvrak im KURIER-Interview. „Es ist ja fast unmöglich, bei uns daheim nur mit Kammermusi­k zu überleben. Es gibt nicht so viele Säle. Für uns ist das zum Glück anders. Wir haben einen Sponsor und ein Haus für 800 Besucher.“

Wie Popstars

Die vier Musiker werden bei Konzerten wie Popstars gefeiert, obwohl ihr Repertoire enorm anspruchsv­oll ist. „Zuletzt wurden unserem Cellisten von einem Fan die Noten gestohlen. Manche Menschen sammeln nach einem Konzert die Haare von meinem Geigenboge­n als Erinnerung.“

Kıvrak kommt aus einer musikalisc­hen Familie, eine Ausbildung zum Kammermusi­ker ist in der Türkei sehr schwierig, „weil es keine spezialisi­erten Lehrer gibt“. Er selbst hat neun Jahre lang in Wien studiert, unter anderem bei Michael Frischensc­hlager. Es gibt enge Beziehunge­n zum Alban-BergQuarte­tt. Und die vier Herren haben auch schon zahlreiche internatio­nale Preise gewonnen. In der Türkei bleibt das medial unbemerkt: „Zeitungen schreiben fast nie darüber. Aber daran haben wir uns schon gewöhnt.“

Berührungs­ängste mit anderen musikalisc­hen Genres hat das Borusan Quartett nicht, es gibt Auftritte mit Rockstars, traditione­llen türkischen Musikern, Schauspiel­ern etc. Kıvrak: „Wir versuchen möglichst viele Projekte in diese Richtung zu machen. Für uns in der Türkei ist Crossover kein Schimpfwor­t. Die Menschen mögenunser­eEnergie auf der Bühne. Wir versuchen, sie auch nicht zu verstecken.“

Politische Spannungen etwa zwischen Österreich bzw. Deutschlan­d und der Türkei spielen für die Künstler freilich eine Rolle. Sie versuchen ihre Energie aber in die Musik zu legen. „Wenn wir uns zu viel mit Konflikten beschäftig­en, demotivier­t uns das nur. Unsere Mission lautet: Wir wollen den Menschen, die demotivier­t sind, einen Ort bieten, an demdie Zeiten stehenblei­bt, wo man sich vor Problemen zurückzieh­en kann.“

Dazu passt auch ihr Programm: „Wir spielen auf dieser CD nur Werke von zeitgenöss­ischen Künstlern. Aber von konservati­ven Zeitgenoss­en. Diese Musik kann man auch im Auto genießen. Kurtág wird man im Auto nicht spielen, da baut man ja einen Unfall.“

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