Kurier (Samstag)

Er lebt noch, weil er aus dem Fenster stürzte und starb

Egon Friedell. 1938, in der Sekunde vor dem Tod, reist er in die Zukunft – also in die Gegenwart.

- VON PETER PISA

Da haben wir es wieder:

Egon Friedell braucht anscheinen­d den Sturz aus dem Fenster, um noch am Leben zu bleiben – 16. März 1938, 3. Stock, Gentzgasse 7, 1180 Wien, zwei SA-Männer haben sich Einlass in seine Wohnung verschafft ...

Um niemanden auf der Straße zu verletzten, rief Friedell: „Vorsicht, bitte!“

DAS bleibt von einem Universalg­enie? ... und seit Bernhard Viels Biografie bleibt vielleicht noch: Er löffelte nachts heimlich Powidl, den seine Haushälter­in vor ihm versteckte. (Freunde durften Friedell wegen seiner Fülle „Mastodon“nennen.)

„Unser“Goethe

Jetzt informiert der Kärntner Schriftste­ller EgydGstätt­ner über Friedell, der oft als Österreich­s Goethe bezeichnet wird – vor allem, weil er gemeinsam mit Alfred Polgar das Theaterstü­ck schrieb und selbst die Hauptrolle spielte: Goethe fällt bei der Matura durch, weil er zu wenig weiß ... über Goethe.

Gstättners Romankommt zur rechten Zeit: Goethe ist zwar auch nicht mehr so bekannt, aber Egon Friedell wird bald ganz vergessen sein. Man bekommt Lust auf seine alten Bücher. Das schafft Gstättner mit „Wiener Fensterstu­rz“. Der Titel bestätigt, dass es ohne den spektakulä­ren Tod nicht geht.

Untertitel: Kulturgesc­hichte der Zukunft.

Denn nach Hälfte des Buchs kommt aus London H.G. Wells in seiner Zeitmaschi­ne. In der einen Sekunde bis zum Aufprall fährt er mit Friedell (der den „Zeitmaschi­nen“-Roman fortgesetz­t hat) in die 2010er-Jahre.

Friedell lernt die U-Bahn kennen, Kokain und Döner („in Fladenbrot versteckte Speiserest­e“). Wieso aus der Peter-Altenberg-Puppe im neuen Café Central Peter Altenberg aufersteht und an der Reise teilnimmt, erschließt sich nicht. Noch dazu ist Altenberg meist schläfrig.

Allmählich wirkt es, so klug es ist, erzwungen und wird mühevoll – aber es hält fest. Es bewahrt. Darin hat auch Egon Friedell einen Sinn der Literatur gesehen.

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Sommerfris­che um 1910: Friedell sitzt, Oskar Kokoschka steht
 ??  ?? Egyd Gstättner: „Wiener Fensterstu­rz“Picus Verlag. 320 Seiten. 24 Euro.
Egyd Gstättner: „Wiener Fensterstu­rz“Picus Verlag. 320 Seiten. 24 Euro.
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