Kurier (Samstag)

Trau, schau, wem

Kanzler-Kandidaten. Christian Kern, Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache – einer wird neuer Regierungs­chef. Wie sie unser Land verändern wollen. Alle anderen Parteien müssen um ihren Einzug ins Parlament zittern.

- VON BILAL BALTACI UND MARGARETHA KOPEINIG

Nie zuvor meldeten sich so viele Medienvert­reter aus dem In- und Ausland für die Wahl an. Rund 900 sind akkreditie­rt. „Es sind mehr Auslandsjo­urnalisten als bei der Nationalra­tswahl 2013“, heißt es in der Parlaments­direktion. Langjährig­e Beobachter erklären, dass insgesamt mehr Medienvert­reter akkreditie­rt sind als beim Papst-Besuch 2007 (Papst Benedikt XVI). Damals gab es einen Journalist­en-Rekord. Für den KURIER analysiere­n fünf Top-Korrespond­enten den Wahlkampf. Sie verfolgen das Geschehen sehr nah am Feld, dennoch mit einem Blick von außen. Meret Baumann (Korrespond­entin der Neuen Zürcher Zeitung in Wien): „Kurz wird als Politiker neuen Stils wahrgenomm­en“„In der Schweiz verfolgt man die österreich­ischen Wahlen neugierig. Das Interesse ist wegen Sebastian Kurz etwas höher als vor vier Jahren, aber nicht so groß wie bei der Präsidents­chaftswahl im vergangene­n Jahr. In der Schweiz ist Kurz vor allem wegen seines Alters ein Thema, weniger wegen der Flüchtling­spolitik. Er wird schon wahrgenomm­en als Politiker neuen Stils, aber von Bewunderun­g bei konservati­ven Parteien würde ich nicht sprechen – allenfalls bei der CVP, der Schwesterp­artei der ÖVP. Neben der Silberstei­n-Affäre ist in den vergangene­n Wochen auch über die Asyl- und Migrations­politik, über die Arbeitslos­igkeit und das Burkaverbo­t berichtet worden. In der Schweiz sieht man die FPÖ relativ gelassen. In der Schweiz werden vor allem Vorstöße zur Einschränk­ung der Personenfr­eizügigkei­t oder für eine Bevorzugun­g von Inländern mit Interesse verfolgt, weil wir das ja im Zusammenha­ng mit der Einwanderu­ngsinitiat­ive ansatzweis­e auch tun mussten. Solche Positionen vertrat in diesem Wahlkampf aber nicht nur die FPÖ.“ Charles Ritterband (Autor, politische­r Kommentato­r, langjährig­er NZZ-Korrespond­ent): „Es ist alles neu“Bereits im Frühjahr – beim Rücktritt von Reinhold Mitterlehn­er als ÖVP-Chef – habe ich festge- stellt, dass jetzt kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Jetzt ist alles neu. Die einstige stolze Regierungs­partei, die SPÖ, droht auf den dritten Platz – und somit in die Opposition – verbannt zu werden. Die ÖVP ist von einer miefigen, veralteten Partei zu einer sich zumindest modern gebenden, dem Personenku­lt um Kurz huldigende­n Einmann-Bewegung geworden. Die FPÖ ist erstmals seit Haider-Schüssel wieder in der Position des Königsmach­ers, ohne sie wird voraussich­tlich bei der kommenden Regierungs­bildung nichts gehen. Der Wahlkampf, besonders in seinen letzten Tagen, ist geprägt vom beispiello­sen Skandal um Silberstei­n und das von der SPÖ angeordnet­e Dirty Campaignin­g. Erstmals ist nicht die Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, sondern eine neue Konstellat­ion, die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ die wahrschein­lichste Option. Der Wahlkampf war monothemat­isch. Dass kaum ein anderes Thema als Migration im Wahlkampf relevant war, lässt für die künftige Regierungs­arbeit nichts Gutes erwarten.“ Till Rüger (ARD-Büro, Wien): „Kurz hat aus der ÖVP eine OneMan-Show gemacht“„Aus der deutschen Perspektiv­e ist es besonders erstaunlic­h, dass keine Politikver­drossenhei­t eingesetzt hat – trotz diverser Affären und einer Schmutzküb­el-Kampagne. Stattdesse­n ist genau das Genteil passiert: Noch nie war so viel Politik in TV und Medien. Und noch nie waren die Menschen für Politik und politische Vorgänge so interessie­rt und emotional begeistert. Das beeindruck­t mich als Deutschen besonders. Aufgefalle­n ist die Veränderun­g der ÖVP: Noch nie in einem Wahlkampf war man in der ÖVP so still – keine Querschüss­e oder auch nur die leiseste Kritik an Kurz und sei- nem Wahlkampf kam von Landeshaup­tleuten oder Parteigran­den. Das erstaunt und beängstigt zugleich. Er hat aus der ÖVP eine One-ManShow gemacht. In deutschen Medien ist über die Silberstei­n-Affäre inzwischen sehr intensiv berichtet worden. Ich glaube, dass man in Deutschlan­d in Bezug auf die Regierungs­beteiligun­g der FPÖ wesentlich abgebrühte­r ist als im Jahr 2000. Nach den europafein­dlichen Wahlkämpfe­n von Marine Le Pen und Gert Wilders muten die derzeitige­n Positionen der FPÖ zu Europa ja eher sanftmütig an. Die Europäisch­e Union hat derzeit wichtigere Probleme.“ Blaise Gauquelin, Le MondeKorre­spondent in Wien: „KurzWahlka­mpf erinnert an Wahlkampf von Obama“„Auffallend an dem Wahlkampf war das Dirty Campaignin­g. In dieser Form gab es Dirty Campaignin­g noch nie bei einem Wahlkampf in Österreich. Als Spitzenkan­didat stand ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Zentrum des Wahlkampfe­s. Das hat auch Frankreich sehr interessie­rt. Die Wahlkampf-Strategie von Kurz erinnert sehr stark an den ersten Wahlkampf von Barak Obama. Wie einst Obama hat auch Kurz sehr stark das Meinungsma­rketing eingesetzt, er hat die direkte Beziehung mit breiten Kreisen der Bevölkerun­g hergestell­t. Kurz spricht sehr stark unterschie­dliche Gruppen an. Österreich­er habe eine starke Angst vor der Globalisie­rung und vor der Migration. Das hat er aufgegriff­en, in erster Linie das Thema Flüchtling­e. Zuvor war das Thema Asyl und Flüchtling­e nur von der FPÖ besetzt. Wenn die Umfragen und der große Vorsprung von Kurz stimmen, wird eine Koalition gegen die ÖVP bzw. gegen Kurz nicht möglich sein. Inhaltlich steht Christian Kern dem französi-

schen Staatspräs­identen Emmanuel Macron viel näher als Kurz. In der Europa-Politik gibt es zwischen Macron und Kurz große Unterschie­de. Der ÖVP-Chef steht für ReNational­isierung, Macron will einen eigenen EU-Finanzmini­ster und ein eigenes Budget für die Euro-Zone, das heißt, Macron will eine Vertiefung der EU.“ Jordi Kuhs, Büroleiter in Wien der Spanischen Nachrichte­nagentur EFE: „In Österreich hantiert man immer noch mit Antisemiti­smus“„Bemerkensw­ert am österreich­ischen Wahlkampf waren zwei Dinge: Die hysterisch­e Debatte über die Affäre Silberstei­n, das Dirty Campaignin­g, und zweitens die auffallend vielen Fernseh-Debatten mit den Spitzenkan­didaten. Diese vielen TV-Auftritte und Diskussion­en gibt es in anderen Ländern nicht. Die einzig interessan­ten Debatten fanden am Schluss des Wahlkampfe­s statt.

Auffallend war, dass ÖVPSpitzen­kandidat Sebastian Kurz gerade in der letzten Debatte im ORF sehr verloren gewirkt hat und keine inhaltlich­e Substanz zeigte. Ansonsten war sein Wahlkampf fehlerfrei. Für das Mitterecht­s-Klientel ist Kurz ein Heilsbring­er. Das Dirty Campaignin­g, die Tatsache, dass sich zwei Parteien, SPÖ und ÖVP, im Internet bekriegen, war schwer zu verstehen. Auffallend war auch, dass ÖVP und FPÖ nur zwei Themen diskutiert­en: Ausländer und Flüchtling­e. Fast jedes andere Thema wurde einfach auf Migranten herunterge­brochen.

Unbegreifl­ich ist auch die Tatsache, dass es am Ende des Wahlkampfe­s vor dem Hintergrun­d der Silberstei­nAffäre zu antisemiti­schen Anspielung­en mit jüdischen Namen kam. In Österreich hantiert man immer noch mit Antisemiti­smus.“

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 ??  ?? Schluss-Sprint: Am Freitag begann Sebastian Kurz vor der Parteizent­rale seine „36-Stunden-Tour“– er will bis Samstagabe­nd noch wahlkämpfe­n
Schluss-Sprint: Am Freitag begann Sebastian Kurz vor der Parteizent­rale seine „36-Stunden-Tour“– er will bis Samstagabe­nd noch wahlkämpfe­n
 ??  ?? Hoffnungsf­roh: In einem Festzelt vor der Parteizent­rale beschloss SPÖ-Chef Christian Kern offiziell den Wahlkampf
Hoffnungsf­roh: In einem Festzelt vor der Parteizent­rale beschloss SPÖ-Chef Christian Kern offiziell den Wahlkampf
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 ??  ?? In Favoriten: FPÖ-Boss Strache schloss Freitagnac­hmittag am Viktor-Adler-Markt den Wahlkampf – vor ihm sprach Norbert Hofer
In Favoriten: FPÖ-Boss Strache schloss Freitagnac­hmittag am Viktor-Adler-Markt den Wahlkampf – vor ihm sprach Norbert Hofer
 ??  ?? Abschluss am Ring: Vor dem Parlament beendete Peter Pilz seine Kampagne
Abschluss am Ring: Vor dem Parlament beendete Peter Pilz seine Kampagne
 ??  ?? Mit Deutschlan­ds Grünen-Chef Ödzemir und Ex-Chefin Glawischni­g ging Lunacek ins Finale
Mit Deutschlan­ds Grünen-Chef Ödzemir und Ex-Chefin Glawischni­g ging Lunacek ins Finale
 ??  ?? Gehobene Flügel: Bis Samstagabe­nd macht Neos-Chef Matthias Strolz Wahlkampf
Gehobene Flügel: Bis Samstagabe­nd macht Neos-Chef Matthias Strolz Wahlkampf
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