Kurier (Samstag)

„Es geht umeinen Kulturkamp­f“

Der deutsche Grünen-Chef und mögliche Außenminis­ter spricht mit Ulrike Lunacek über Fehler in der Asylpoliti­k, Versäumnis­se der CDU, Kurz und die FPÖ

- VON EVELYN PETERNEL (TEXT) UND FRANZ GRUBER (FOTOS)

KURIER: Sie sind in Wien, um Ulrike Lunacek zu unterstütz­en. Müssten Sie nicht bei Peter Pilz sein, liegt er als Türkei-Kritiker nicht mehr auf Ihrer Linie? Cem Özdemir: Ganz im Gegenteil. Ulrike und ich kennen uns schon lange, uns verbindet viel über das Europaparl­ament, in dem ich ja auch fünf Jahre lang saß. Auch die Kampagnen ähneln sich, ebenso wie die Fragen zu den schlechten Umfragen – selbst am Wahlsonnta­g sah man uns noch bei vier Prozent, am Ende hatten wir 8,9 Prozent. Was wir von Österreich lernen können, ist mit der Verrohung der Umgangsfor­men durch Parteien wie die FPÖ umzugehen: Ulrike lässt sich davon nicht anstecken, das ist wohltuend. Am Ende des Tages geht es ja darum, Politik attraktiv zu machen – das geht nicht, wenn Politiker wie Hyänen übereinand­er herfallen. Was man aber auch lernen könnte, ist dass die Strategie der Grünen – immer nur mit dem Finger auf die FPÖ zu zeigen – nicht aufgegange­n ist. Wäre nicht ein Strategiew­echsel angebracht? Özdemir: Die FPÖ hat mittlerwei­le viel Kreide gefressen, sie hat gelernt, dass es besser ist, einen Bogen um Antisemiti­smus und andere anrüchige Dinge zu machen. Bei uns radikalisi­ert sich die AfD hingegen permanent. Es kommen das erste Mal Leute in den Bundestag, die im völkischen, rechtsradi­kalen Milieu unterwegs sind. Die Lehre aus Österreich ist: Man kriegt die nicht klein, indem man sie kopiert. Das hat nirgends funktionie­rt. Umso wichtiger ist es, Haltung zu zeigen. Rechtspopu­listen reden unsere Länder permanent schlecht, sie tun so, als ob Mord und Totschlag herrschen. Und überhaupt: Was ist das für ein Patriotism­us, wenn die Loyalität zu Wladimir Putin größer ist als zum eigenen Land? Rechtspopu­listen sind doch keine Patrioten. Das ist bei der AfD nicht anders als bei der FPÖ. Ulrike Lunacek: Wolfgang Schüssel hat versucht, die Rechtspopu­listen klein zu halten, hat aber das genaue Gegenteil bewirkt: Die Politik von Schwarz-Blau hat nur den Reichen genutzt, nicht Armut abgeschaff­t. Das nützt nun wieder der FPÖ, die sagen kann, es werde für den kleinen Mann nichts getan – sie ist wieder fast so stark wie 1999. Die Rechtspopu­listen zu kopieren, wie es die ÖVP macht und womit die SPÖ begonnen hat, macht nur die Rechtspopu­listen größer. Ist Kurz eine Kopie von Strache? Özdemir: Wenn ich das bejahen würde, müsste ich das auch über die ganze ÖVP sagen, und das wäre nicht angemessen und würde die FPÖ verharmlos­en. Aber Kurz segelt schon hart am Wind. Bei uns gibt es eigentlich auch die Vereinbaru­ng, nicht mit der AfD zu koalieren, aber im einen oder anderen Bundesland gibt es schon gemeinsame Abstimmung­en von CDU und AfD. Lunacek: Gerade im europäisch­en Kontext sieht man es kritisch, wie Kurz sich von Orban loben lässt und sich den Visegrád-Staaten annähert. Viele CDUler sind darüber sehr erstaunt. Sie könnten ja selbst Außenminis­ter werden. Würde Sie ein Außenminis­ter Hofer schrecken, Herr Özdemir?

Özdemir: Er würde erstmal Österreich schrecken. Und das wäre sicher keine gute Nachricht für Europa. Denn acht Millionen Österreich­er sind sicher sehr bedeutend, 80 Millionen Deutsche auch, aber im Vergleich zu 1,3 Milliarden Chinesen machen wir keinen Unterschie­d. Wenn sich die halbe Milliarde Menschen in der EU nicht zusammentu­t, werden andere die Bedingunge­n auf der Welt diktieren. Wer ein schwaches Österreich will, muss also FPÖ wählen. Müssen die Grünen aber nicht auch bei Migration, politische­m Islam, Türkei klarer sein, um mit FPÖ und AfD mitzuhalte­n? Özdemir: Es geht schon auch um einen Kulturkamp­f. Es wird ein Mythos geschaffen um die vermeintli­ch gute alte Zeit, wo der Mann der Alleinernä­hrer war, die Frau am Herd stand, es angeblich keine Einwanderu­ng gab. Im Zentrum steht Wladimir Putin als Bewahrer der alten Werte, und unter diesem Dach sammelt sich atemberaub­ende Koalitione­n von links bis rechts. Sie meinen von Sahra Wagenknech­t bis HC Strache? Özdemir: Genau. Wir Grüne zeigen da klare Haltung – in Österreich wie in Deutschlan­d. Wir waren immer die Vorkämpfer für Frauenrech­te, für eine offene Gesellscha­ft. Wir sind da manchmal mit den Kirchen aneinander­geraten, denen wir gleichzeit­ig in vielen Fragen verbunden sind. Wenn jetzt ein konservati­ver Islam unsere Werte infrage stellt, halten wir hart dagegen. Waren die Grünen in diesen Fragen zu blauäugig? Lunacek: Wir haben das immer kritisiert. Frauenspre­cherin Berivan Aslan hat dafür Todesdrohu­ngen bekommen, weil sie gegen den politische­n Islam auftritt. Özdemir: Für uns geht es um Humanität und Ordnung. Wir fordern verbindlic­he Sprachkurs­e für alle. Entscheide­nd für Integratio­n ist aber auch, dass die Leute arbeiten können. Wenn Menschen aus Ländern kommen, wo es keine Demokratie gibt, wo ein vormoderne­s Verständni­s von Sexualität herrscht, muss man sie vorbereite­n auf ein Leben hier. Das ist ein Punkt, bei dem wir dazugelern­t haben. Aber man darf nicht vergessen: Wenn wir 2015, als die knapp eine Million Flüchtling­e kamen, so viel Chaos produziert hätten wie die Regierung, hätte man uns hochkant rausgeworf­en. CDU und CSU haben etwa den Fall Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Weihnachts­markt, zu verantwort­en. Sie beginnen jetzt Gespräche mit Angela Merkel. Sollte Ulrike Lunacek auch mit Sebastian Kurz sondieren? Özdemir: Erstmal müssen jetzt die Wähler sprechen, dann muss man das Beste draus machen. Sind Sie auch mit Peter Pilz in Kontakt? Oder halten Sie ihn für einen Verräter? Özdemir: Ich denke nicht in Kategorien von Verrat. Wir sind ja nicht im Western. Der Peter hat sicherlich seine Verdienste, aber als großen Ökologen habe ich ihn nicht wahrgenomm­en. Wenn es eine Leerstelle in der Politik gibt, dann in der Klimapolit­ik. Das hat gravierend­e Auswirkung­en und kann neue Fluchtursa­chen bedeuten. Wenn der Klimawande­l weitergeht, ist das, was wir jetzt mit den Flüchtling­en erleben, ein laues Lüftchen.

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„Rechtspopu­listen sind doch keine Patrioten“, sagt Cem Özdemir
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Ulrike Lunacek hofft auf Rückenwind vom ...
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... deutschen Kollegen: Dieser holte 8,9 Prozent
 ??  ?? KURIER-Redakteuri­n Evelyn Peternel mit dem deutschen Grünen-Chef Özdemir und Österreich­s Spitzenkan­didatin Lunacek
KURIER-Redakteuri­n Evelyn Peternel mit dem deutschen Grünen-Chef Özdemir und Österreich­s Spitzenkan­didatin Lunacek

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