Kurier (Samstag)

„Lust verhält sich wie Neugierde“

Ann-Marlene Henning redet in ihrer ZDF-Sendung offen über Sex – demnächst kommt sie nach Wien

- VON GABRIELE KUHN

Sie ist überzeugt, dass man Liebe machen lernen kann, in ihrer ZDF- Sendung „Make Love“widmet sich die bekannte Paartherap­eutin und Bestseller-Autorin Ann-Marlene Henning Themen wie „Raus aus der Routine“oder „Wenn unten nicht macht, was oben will“. Dabei spricht sie direkt an, was sich viele Menschen nicht zu sagen trauen. KURIER: Das Internet ist voll mit Sex – braucht es da noch ein Format wie „Make Love“? Ann-Marlene Henning: Nach den ersten Ausstrahlu­ngen von „Make Love“im Herbst 2013 gab es viele Rückmeldun­gen. Die Menschen schrieben: „Die Sendung hat uns als Paar extrem gutgetan, die Hilfestell­ungen waren so einfach und doch so völlig übersehen und vernachläs­sigt von uns“. Oder: „Wir haben das gleich mal ausprobier­t und hatten fantastisc­hen Sex. Wir freuen uns auf weitere Sendungen, die Folgen sind noch gar nicht abzusehen“. Ich würde die Frage gerne damit beantworte­n: Die simpelsten Dinge sind unbekannt. Und der Druck, perfekt zu sein, ist so hoch wie noch nie. Es ist ein Unterschie­d, ob man selbst im Internet unterwegs ist, und nicht so genau weiß, was gut oder schlecht ist, oder ob man eine fachlich fundierte Sendung sieht. Sie sagen, der Druck sei so hoch wie noch nie. Warum?

Ich glaube, das ist in der Gesellscha­ft gerade so: Ein Optimierun­gswahn in allem – beim Körper, und in der Folge dann auch beim Sex. Es ist ein Spruch, aber repräsenta­tiv: „Ein Paar kommt rein und sagt: Sind wir noch nor- mal, wir haben kein SM?“. Die Menschen haben Erwartunge­n. Selbst die kleinsten Dinge müssen perfekt ablaufen, das kann aber keiner bedienen. Das andere ist: Wenn jemand ein Problem hat, denken viele, dass mit ihnen selbst etwas nicht stimmt. Weil in vielen Köpfen immer noch drinsteckt, dass Sex ein Trieb ist, und damit verbunden wird, dass alles von alleine passiert. Einen Orgasmus haben zu können, ist zum Beispiel nicht angeboren. Vieles beim Sex wird nach und nach gelernt. Die wenigsten Menschen nutzen ihr erotisches Potenzial. Ein häufiger Grund für Scheidunge­n ist Untreue. Wie schafft man es, sein erotisches Potenzial zu erhalten?

Sexuelle Langeweile kommt nicht, je länger man zusammen ist, sondern gleich, nachdem man nicht mehr verliebt ist. Da entsteht langsam Liebe, sie ist nicht unbedingt der beste SexPotenzi­erer. Es heißt jetzt: Use it or lose it. Es geht darum, etwas am Leben zu erhalten. Und es geht um die berühmte Intimität. Damit meine ich nicht Nähe. Und auch nicht Geschlecht­sverkehr, sondern intime Momente, wo das Hirn wach wird – die Neugierde auf den anderen bleibt. Heißt konkret?

Es geht darum, sich zu trauen, Wünsche zu äußern, über Sehnsüchte zu sprechen. Undauchdar­um, zu lernen, den anderen zu sehen und zu lassen, wie er ist. Wer verliebt ist, sieht nur das Beste in demanderen, der Rest wird ausgeblend­et. Wo zwei an- fangen, die Ecken und Kanten des anderen zu sehen und anzunehmen, kommt Bewegung in die Beziehung. Und damit auch die Lust. Muss man alles preisgeben, wie weit soll man dabei gehen?

Nein, Dinge können auch zerredet werden. Man muss nicht immer sprechen. Es geht häufig um Körperlich­es, beispielsw­eise sich beim Sex zu trauen, den anderen hören zu lassen, dass man erregt ist. Viele halten sich hier zurück: Ich mag nicht stöhnen, ich darf nicht laut sein, das ist peinlich. Oder man sagt etwas so Simples wie „Ich bin so geil“. Hauptsache, es ist echt. Untersuchu­ngen bestätigen, dass die Geilheit des Partners zum wichtigste­n Erreger gehört. Bei diesen Sachen sind wir ganz schnell bei Begriffen wie sexuelle Selbstsich­erheit oder erotische Kommunikat­ion. Fähigkeite­n, die nicht angeboren mit im Paket sind, sondern jeder erst lernt. Was braucht es dafür?

Zwei Dinge: Man muss sich selbst mögen und sich zeigen wollen. Gerade das Mögen aber, wird mit dem Druck da draußen immer schwierige­r – weil die meisten Menschen ja nicht so aussehen, wie es überall gezeigt wird. Wir vergleiche­n uns mit dem Optimum. Dabei sollten wir uns mit dem guten Mittelwert messen. Mit welchen Problem kommen Paare am häufigsten zu Ihnen?

Einerseits mit konkreten Dingen wie Erektionss­törungen, zu früh kommen. Schmerzen beim Geschlecht­sverkehr, Vaginismus, Orgasmusst­örungen. Ein bunter Mix. Und da ist dieses große wabernde Etwas: Wir haben keine Lust. Nicht zuletzt dadurch ausgelöst, dass die Leute immer noch dank Freud denken, dass sexuelle Lust ein Trieb ist. Wer daran glaubt, hat gleich das nächste Problem, nämlich: „Ich bin dann wohl falsch“. Und dann geht die Lust noch mehr runter: Das Gehirn ist im Notprogram­m! Nein, Lust verhält sich eher wie Neugierde. Etwas deutet übrigens darauf hin, dass neugierige Menschen im Alter besser drauf sind, länger leben und auch länger Sex haben. Das sind lebendige Menschen, Menschen, die immer offen bleiben.

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In Langzeitbe­ziehungen geht es darum, etwas am Leben zu erhalten – die berühmte Intimität. Momente, in denen das Hirn wach wird
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„Let’s talk about Sex“: AnnMarlene Henning spricht in Wien
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